In vielen Unternehmen findet sich ein zweigleisiger, dualer Vertrieb, bei dem ein Hersteller sowohl im Eigen- und Direktvertrieb tätig ist und sich zudem unabhängiger Fachhändler bedient. Werden nun im Unternehmen des Herstellers Informationen zu den beiden Vertriebskanälen ausgetauscht, kann es sich um einen bußgeldbewehrten, kartellrechtswidrigen Informationsaustausch handeln.
Selbstständiges Verhalten von Unternehmen
Im Kartellrecht gilt der Grundsatz, dass jedes Unternehmen sein wirtschaftliches Verhalten selbst bestimmt. Erfolgreiches Unternehmertum bedingt, sich in intelligenter Weise auf den Markt und das dort bestehende oder zukünftige Verhalten der Wettbewerber einzustellen. An dieser, für den freien Wettbewerb notwendigen Ungewissheit fehlt es jedoch, wenn durch Kontakt zwischen Wettbewerbern das jeweilige Marktverhalten beeinflusst wird, indem man sich ein- oder wechselseitig über das Verhalten informiert, zu dem das jeweilige Unternehmen auf dem betreffenden Markt entschlossen ist.
Da der Austausch sensibler Geschäftsinformationen die Unsicherheit der Wettbewerber beseitigt, gehen Kartellbehörden und -gerichte davon aus, dass es infolge eines Informationsaustausches nahezu zwangsläufig zu kartellrechtswidrigen Wettbewerbsbeschränkungen kommt. Unternehmen werde etwa ermöglicht, Wettbewerbern zu signalisieren, welches Verhalten es für diese Wettbewerber wünschenswert fände oder welches Verhalten das Unternehmen selbst als Reaktion auf das Verhalten eines Wettbewerbers an den Tag legen würde.
Marktabschottung
Der Zwang zum selbstständigen, unbeeinflussten unternehmerischen Handeln ist kein Selbstzweck. Sofern ein Informationsaustausch eine Wettbewerbsbeschränkung ermöglicht, erleiden Abnehmer der folgenden Marktstufen Schäden, etwa weil auf der vorhergehenden Marktstufe im Wissen um das Verhalten des Wettbewerbers Preise erhöht oder nicht gesenkt werden.
Daneben kann ein Informationsaustausch den Wettbewerb durch eine Marktabschottung schädigen. Es gibt zahlreiche kartellbehördliche und -gerichtliche Entscheidungen, die anschaulich belegen, dass ein kartellrechtswidriger Austausch sensibler Geschäftsinformationen dazu führt, dass nicht am Informationsaustausch beteiligte Wettbewerber gegenüber den am Austausch beteiligten Unternehmen immer dann einen erheblichen Wettbewerbsnachteil erleiden, wenn die betreffenden Informationen für den Wettbewerb auf dem jeweiligen Markt von strategischer Bedeutung sind und der Austausch einen erheblichen Teil des relevanten Marktes betrifft. Selbst das in rechtmäßiger Unsicherheit handelnde, größte kaufmännische Talent kann den womöglich vollständig rechtswidrigen Informationsvorsprung seiner kartellierenden Wettbewerber nicht überwinden.
Qualität der Informationen
Der bußgeldbewehrte Informationsaustausch liegt dann vor, wenn der Austausch sensibler Geschäftsinformationen geeignet ist, die Geschäftsstrategie der Wettbewerber zu beeinflussen und dadurch Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden, die im Hinblick auf die Art der Produkte, die Größe und Zahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den von Unsicherheit geprägten Bedingungen dieses Marktes entsprechen.
Als sensible Geschäftsinformationen gelten dabei in der Regel jedwede Informationen über die Preisgestaltung, Kosten, Kapazitäten, Produktion, Mengen, Marktanteile, Kunden, Pläne in Bezug auf einen Marktein- oder -austritt oder andere wichtige Elemente der Strategie eines Unternehmens, bei denen Unternehmen, die auf einem echten Wettbewerbsmarkt tätig sind, keinen Anreiz für eine gegenseitige Offenlegung haben würden. Keine sensiblen Geschäftsinformationen sind demgegenüber Informationen in Bezug auf die allgemeine Funktionsweise oder den Zustand eines Wirtschaftszweigs, Fragen der öffentlichen Politik oder der Regulierung und nicht vertrauliche technische Fragen.
Zweigleisiger Vertrieb
Zahlreiche Unternehmen befolgen die vorbeschriebenen Regeln zum Informationsaustausch schon aus gebotenem Eigeninteresse. Gleichwohl kann es gerade in der Situation des zweigleisigen Vertriebs zu einem bußgeldbewehrten Kartellrechtsverstoß kommen. Beim zweigleisigen Vertrieb bedient sich ein Hersteller mehrerer Vertriebsschienen. Einerseits wird das Produkt durch den Hersteller selbst im Wege des Eigen- oder Direktvertriebs auf den Markt gebracht. Daneben besteht in der Regel ein umfangreiches Händlernetz, das dieselben Produkte ebenfalls vertreibt. Der herstellerseitige Eigen- und Direktvertrieb steht dann im Wettbewerb mit den belieferten unabhängigen Fachhändlern.
Liegt ein solches zweigleisiges Vertriebssystem vor, sind Hersteller zuweilen geneigt, Informationen aus dem Eigen- und Direktvertrieb in der Vertriebsbeziehung mit den unabhängigen Fachhändlern und, vice versa, die Informationen aus der Vertriebsbeziehung mit den unabhängigen Fachhändlern im Eigen- und Direktvertrieb zu verwenden. Da aus der entscheidenden Perspektive der Endabnehmer das Angebot des Eigen- und Direktvertriebes des Herstellers und das Angebot der unabhängigen Fachhändler austauschbar ist, sind der Hersteller im Eigen- und Direktvertrieb und die Fachhändler Wettbewerber.
Der Informationsfluss vom unabhängigen Fachhändler zum herstellerseitigen Eigen- und Direktvertrieb oder vom Eigen- und Direktvertrieb zum unabhängigen Fachhändler kann damit einen kartellrechtswidrigen Informationsaustausch bedeuten. Der Austausch von Informationen ist im zweigleisigen Vertrieb nur freigestellt, wenn damit eine Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren verbunden ist. Technische und logistische Informationen oder Präferenzen und Rückmeldungen der Kunden werden für die Durchführung des Vertriebsvertrages zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs als notwendig erachtet. In keinem Fall dürfen jedoch Informationen etwa über die künftigen Preise oder über identifizierte Endverbraucher der Vertragswaren ausgetauscht werden.
Chinesische Mauern und Clean Teams
Im Allgemeinen empfiehlt es sich daher, dem herstellerseitigen Eigen- und Direktvertrieb unternehmensintern keine Informationen aus dem Vertrieb der unabhängigen Fachhändler zu Verfügung zu stellen. Es gilt, technische oder administrative Maßnahmen im Unternehmen zu verankern, um sicherzustellen, dass die vom unabhängigen Vertragshändler übermittelten Informationen nur dem für die vorgelagerten Tätigkeiten des Herstellers verantwortlichen Personal zugänglich sind und nicht dem Personal, das für die Eigen- und Direktvertriebstätigkeiten des Herstellers verantwortlich ist.
Alternativ können Unternehmen für den Erhalt und die Verarbeitung von Informationen „Clean Teams“ einsetzen. Ein „Clean Team“ ist eine begrenzte Gruppe von Personen in einem Unternehmen, die nicht in die Geschäftstätigkeit des Unternehmens eingebunden und an strenge Vertraulichkeitsprotokolle in Bezug auf sensible Geschäftsinformationen gebunden ist. Dieses „Clean Team“ kann dann zwar sämtliche Informationen aus den jeweiligen Vertriebskanälen erhalten und diese kartellrechtskonform zusammengefasst oder anonymisiert weitergeben.