Schon im Jahr 2008 hat der Gesetzgeber für Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH die Bedeutung der Gesellschafterliste deutlich gestärkt. Danach gilt im Verhältnis zur Gesellschaft im Falle einer Veränderung des Gesellschafterkreises immer nur derjenige als Gesellschafter, der als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist. Es kommt also grundsätzlich insbesondere für Gesellschafterbeschlüsse nur noch rein formal darauf an, wer zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Gesellschafterbeschlusses im Handelsregister aus der dort hinterlegten Gesellschafterliste ersichtlich ist.
Wenn sich der Gesellschafterkreis ändert, wird eine neue Gesellschafterliste zum Handelsregister abgereicht. Dies geschieht in der Praxis oft mit einer gewissen Verzögerung oder die förmliche Aufnahme der abgereichten Liste durch das Handelsregister nimmt einige Zeit in Anspruch, sodass für einen gewissen Zeitraum die tatsächliche Gesellschafterstellung von der aus dem Handelsregister erkennbaren Gesellschafterstellung abweicht.
Im Zusammenhang mit Gesellschafterstreitigkeiten ist dann gelegentlich der taktisch motivierte Versuch unternommen worden, diese reine Formal-Position der Gesellschafterliste auszunutzen, indem der nur formal noch eingetragene „Scheingesellschafter“ an Gesellschafterbeschlüssen mitwirkt oder diese sogar initiiert, obwohl er weiß, dass er tatsächlich nicht mehr Gesellschafter ist. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt der Gesellschafterbeschluss dann wirksam zustande und kann zudem ggf. nach Ablauf einer Anfechtungsfrist nicht mehr angefochten werden. Dann hätte der an sich ausgeschiedene Gesellschafter noch Fakten geschaffen, die für seinen Nachfolger erhebliche Belastungen bedeuten können. Wie der sinnbildlich pfeifende Wanderer im Wald könnte sich der ausscheidende Gesellschafter dann darauf berufen, dass er dies aufgrund seiner Formal-Position noch tun konnte und deshalb vielleicht auch durfte, wenn das Gesetz es so ausdrücklich anordnet.
Dem hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun in einer neuen Entscheidung (Urt. v. 06.12.2022, II ZR 187/21) einen Riegel vorgeschoben. Denn „Können“ heißt auch nach seiner Diktion bekanntlich nicht auch immer automatisch „Dürfen“. Der BGH musste dabei einen Weg finden, um einerseits die Regelung des Gesetzgebers aufrechtzuerhalten, wonach es grundsätzlich immer nur darauf ankommt, wer gerade aus der beim Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste erkennbar ist. Andererseits musste er der missbräuchlichen Ausnutzung dieser gesetzlich angeordneten bloßen Formal-Position entgegenwirken.
Dem BGH ist dies gelungen. Er hat festgestellt, dass selbst ein aufgrund der Fristversäumnis unanfechtbar gewordener Gesellschafterbeschluss zwar wirksam ist, aber von den Gesellschaftern wieder beseitigt werden muss, wenn er sittenwidrig erwirkt wurde. Denn der Gesellschafterbeschluss wird danach zwar erst einmal wirksam und kann sogar unanfechtbar werden, wenn er von den Gesellschaftern nicht angefochten wird. Der den Gesellschafterbeschluss sittenwidrig herbeiführende Gesellschafter macht sich aber schadensersatzpflichtig und ist verpflichtet, an einem Gesellschafterbeschluss mitzuwirken bzw. diesen herbeizuführen, um den sittenwidrig herbeigeführten Gesellschafterbeschluss wieder gegenstandslos zu machen.
Der im Wald pfeifende und wandernde Schein-Gesellschafter wird sich in Zukunft also gut überlegen müssen, ob er dieses Risiko auch eingeht. Denn mit der grundsätzlichen Feststellung einer Schadensersatzpflicht des Schein-Gesellschafters kann dieser – über die Beseitigung des Gesellschafterbeschlusses hinaus – zudem verpflichtet sein, etwaige weitere Nachteile in Geld auszugleichen. Dies kann nicht anders als eine deutliche Warnung des BGH an den pfeifenden Wanderer verstanden werden, seine bloße Formal-Position nicht sittenwidrig zu Lasten des wahren Gesellschafters auszunutzen. Er solle sich nicht sicher fühlen, wenn er sich auf bloße Formal-Positionen beruft. Denn auch für ihn können im Wald bekanntlich Gefahren lauern, wenn er fröhlich vor sich herpfeift.