Was sind Botanicals? Für Botanicals gibt es (noch) keine gesetzliche Definition. Darunter werden ganz allgemein Pflanzenstoffe verstanden wie etwa zerkleinerte Pflanzenteile und Zubereitungen wie das Pressen, Destillieren, Mazerieren, Extrahieren von Pflanzen und Pflanzenteilen. Die Allgemeinheit kennt den Begriff meist im Zusammenhang mit Gin. Neben den dafür immer zu verwendenden Wacholderbeeren werden in Gins heute verschiedenste geschmacksgebende Botanicals eingesetzt.
Aber auch in Nahrungsergänzungsmitteln werden Botanicals verwendet und auch gerne beworben, weil mit diesen pflanzlichen Bestandteilen positive Eigenschaften verbunden werden. So hatte auch ein deutsches Unternehmen in seinen Nahrungsergänzungsmitteln Botanicals eingesetzt und die Nahrungsergänzungsmittel auf der Basis von selbst durchgeführten Studien wie folgt beworben:
„Stimmungsaufhellendes Safran-Extrakt
Das Safran-Extrakt … wurde an 50 Teilnehmern über einen Zeitraum von 30 Tagen in einer Open Study getestet. Mit einer Dosis von 30 … pro Tag erlebten 77 % der Probanden nach nur zwei Wochen Einnahme eine Verbesserung des emotionalen Gleichgewichts, fühlten sich optimistischer und glücklicher. 66 % fühlten sich auch entspannter und dynamischer. Nach 30 Tagen verbesserte sich bei 11 % der Probanden die Schlafqualität.“
Melonensaft-Extrakt mit Superoxid-Dismutase-Aktivität hat in Studien unter Beweis gestellt, dass nach vier Wochen Stressgefühle und Erschöpfung abnahmen. Außerdem wurde die Reizbarkeit und Erschöpfung um 63 % reduziert, was zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führte.“
Gegen diese Werbung hatte ein Verband auf Unterlassung vor dem Landgericht (LG) Hamburg geklagt und sich dabei auf die sogenannte Health-Claims‑Verordnung (HCVO) berufen. Diese regelt, unter welchen Voraussetzungen mit welchen nährwert- oder gesundheitsbezogenen Angaben für Lebensmittel geworben werden darf. Das LG Hamburg hat der Klage stattgegeben und der Hersteller der Nahrungsergänzungsmittel hat Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg eingelegt. Nachdem dieses die Berufung zurückgewiesen hat, wurde Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt.
Der BGH war sich wiederum nicht sicher, wie nach den europäischen Vorgaben die HCVO in dem entscheidenden Punkt auszulegen ist und hat diese Frage im Rahmen eines sogenannten Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH vorgelegt (B. v. 01.06.2023, I ZR 109/22). In einem Vorabentscheidungsverfahren bestimmt der EuGH, wie europäische Vorschriften auszulegen sind und (etwas verkürzt gesagt) die staatlichen Gerichte müssen sich daran dann bei ihren Entscheidungen halten.
Der EuGH hat mit seiner Entscheidung festgehalten, dass die HCVO in Art. 10 Abs. 1 für gesundheitsbezogene Werbung von einem Verbotsgrundsatz ausgeht, also jede gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel erst einmal grundsätzlich unzulässig ist. Die HCVO regelt dann begrenzte Ausnahmen von diesem Verbot. Gibt es keine Ausnahme für den konkreten Fall, bleibt es bei dem Verbot.
Die Verwendung gesundheitsbezogener Angaben kann nur dann zulässig sein, sofern es sich um von der EU‑Kommission zugelassene und in die Liste der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben aufgenommene Angaben handelt. Die EU‑Kommission prüft dafür mögliche gesundheitsbezogene Angaben und gibt diese entweder frei oder eben nicht. Es kommt nicht darauf an, ob ein Unternehmen meint, beweisen zu können, dass die Behauptung stimmt (so wie in dem konkreten Fall durch die erwähnten Studien). Es zählen nur die Ergebnisse der Überprüfung durch die EU‑Kommission. Die Prüfung und das Erfordernis einer Zulassung durch die Kommission sollen gerade sicherstellen, dass gesundheitsbezogene Angaben objektiv wissenschaftlich abgesichert sind, wodurch wiederum die Verbraucher geschützt werden sollen.
Für pflanzliche Stoffe hat die EU-Kommission aber ihre Prüfung gesundheitsbezogener Angaben ausgesetzt. Diese sind daher noch nicht in die Liste zulässiger gesundheitsbezogener Angaben aufgenommen worden.
Daher dürfen nach der Rechtsprechung des EuGH gesundheitsbezogene Angaben zu pflanzlichen Stoffen derzeit nicht bei der Werbung für Lebensmittel – auch nicht für Nahrungsergänzungsmittel – verwendet werden.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass es eng begrenzte Ausnahmen von diesem Verbot gibt, wenn die in der HCVO enthaltene Übergangsregelung greift. Diese setzt aber unter anderem voraus, das bereits vor dem 19.01.2008 ein entsprechender Antrag gestellt worden ist. Das war in dem zur Entscheidung durch den EuGH gestellten Sachverhalt nicht der Fall.
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