In einer aktuellen Entscheidung (B. v. 12.08.2024, 2 U 94/21) hatte sich der 2. Zivilsenat des Kammergerichts (KG) Berlin mit der Wirksamkeit einer sogenannten Vesting-Klausel auseinanderzusetzen, die die Gesellschafter eines Start-Ups in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) im Rahmen eines Shareholders‘ Agreement vereinbart hatten.
Vesting-Klausel
Ein wesentliches, wenn nicht sogar das wesentliche „asset“ eines Start-Up Unternehmens ist das Gründer-Team mit seinem Know-how und seinen Ideen. Für Investoren ist es in der Regel entscheidend, dass dieses Gründer-Team weiter für das Start-Up tätig ist. Um dies zu erreichen, wird zwischen den Gründern und den Investoren eine sogenannte Vesting-Klausel vereinbart, wonach den Gründern deren Anteile am Unternehmen weggenommen werden können (durch Einziehung oder Übertragung), wenn sie innerhalb eines definierten Zeitraums nicht mehr für das Start-Up tätig sind.
Wie üblich sah auch im vorliegenden Fall die Vesting-Klausel einen Zeitraum vor, über den ein Gründungsgesellschafter weiter für das Start-Up tätig sein musste. Für den Fall der Zuwiderhandlung hatte der dortige Gründungsgesellschafter ein bindendes Übertragungsangebot abgegeben, wonach ihm seine Geschäftsanteile an der GmbH durch die übrigen Gesellschafter abgenommen werden konnten. Nachdem der Gründungsgesellschafter die weitere Tätigkeit für das Start-Up eingestellt hatte, machten die übrigen Gesellschafter von diesem bindenden Angebot aus dem Shareholders‘ Agreement Gebrauch, infolge dessen der Gründer auch als Gesellschafter aus der Gesellschaft ausschied.
Grundsätzliche Unwirksamkeit von Hinauskündigungsklauseln
Gegen diesen Vorgang wehrte sich der Gründer mit der Argumentation, dass das von ihm abgegebene Angebot auf Verkauf und Abtretung seiner Geschäftsanteile wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sei. Hierzu stützte sich der Gründer auf die ständige Rechtsprechung, wonach gesellschaftsvertragliche Regelungen, die einem Gesellschafter, einer Gruppe von Gesellschaftern oder der Gesellschaftermehrheit das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen (sogenannte Hinauskündigungsklauseln), grundsätzlich wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig sind.
Das KG bestätigte diesen Grundsatz zunächst, führte sodann jedoch zahlreiche Ausnahmefälle auf, in denen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bereits in der Vergangenheit anders entschieden hat. So ist beispielweise anerkannt, dass die freie Entziehung von Anteilen in Manager- und Mitarbeitermodellen zulässig ist. Ebenso können auch Probezeiten auf Gesellschafterebene vereinbart werden, innerhalb derer einem Gesellschafter Anteile wieder zum Nennwert weggenommen werden können.
Wirksamkeit von Vesting-Klauseln
Zum konkreten Einzelfall führt das Kammergericht Berlin überzeugend aus, dass Vesting-Klauseln im Interesse sämtlicher Parteien liegen und für diese ein praktisches Bedürfnis bestehe. Investoren hätten durch solche Vesting-Regelungen die Möglichkeit für einen gewissen Zeitraum den Fortbestand der Gesellschafterstellung des Gründers mit seinem weiteren Einsatz für das Unternehmen zu verknüpfen. Es komme häufig insbesondere auf die weitere Tätigkeit der Gründer an, da diese mit ihrem Know-how für die weitere Entwicklung des Unternehmens benötigt würden. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die in der Regel zum Nominalwert erworbene Beteiligung der Gründer erst infolge der Durchführung der Finanzierungsrunde und des Kapitalzuflusses der Investoren eine weitere, erhebliche Wertsteigerung erfahre. Die Gründer müssten sich ihre Beteiligung hieran sowie an der künftigen weiteren Wertentwicklung erst durch ihre zukünftige Tätigkeit und ihr Engagement für das Unternehmen über einen bestimmten, festgelegten Zeitraum „erdienen“. Die Möglichkeit einer solchen Klausel liege auch im Interesse der Gründer, die ohne eine solche Klausel nur unter erschwerten Bedingungen Kapital aufnehmen könnten.
Mit dieser Argumentation kommt das KG zu dem Ergebnis, dass Vesting-Klauseln wirksam vereinbart werden können.
Abfindung separat zu beurteilen
Von der Frage der Hinauskündigungsmöglichkeit an sich, so das KG weiter, sei allerdings die Frage zu unterscheiden, ob die im Rahmen der Vesting-Klausel vereinbarte Abfindung angemessen sei.
Dies sei vor allem dann zu verneinen, wenn eine nur geringe Abfindung den Gründer um die Früchte seines bisherigen Beitrags für das Unternehmen bringen würde. In diesem Fall würde eine angemessene Abfindung gelten, ohne dass jedoch die Vesting-Klausel im Übrigen unwirksam sei.
Good Leaver vs. Bad Leaver
Da der betroffene Gründer im vorliegenden Fall weder selbst gekündigt hatte noch aus wichtigem Grund (wegen einer Verfehlung) außerordentlich gekündigt worden war, sondern vielmehr eine ordentliche Kündigung durch das Start-Up ausgesprochen wurde, musste sich das KG auch mit der Frage beschäftigen, ob der Grund der Beendigung einer Tätigkeit für das Start-Up maßgeblich für die Wirksamkeit einer Vesting-Klausel ist.
Hintergrund ist, dass in Beteiligungsverträgen für die Möglichkeit einer Hinauskündigung oder die Höhe einer Abfindung häufig zwischen Good Leaver und Bad Leaver-Fällen unterschieden wird. Ein Bad Leaver-Fall liegt dabei regelmäßig dann vor, wenn die betroffene Person (z. B. der Gründer) entweder selbst kündigt oder aber eine Pflichtverletzung begangen hat, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. Ein Good Leaver ist demgegenüber der, der sich nichts zu Schulden hat kommen lassen und von der Gesellschaft (nur) ordentlich gekündigt wird.
Hierzu entschied das KG, dass es jedenfalls im ersten Jahr der Vesting-Klausel nicht darauf ankomme, ob es sich bei dem Gründer um einen Good Leaver oder einen Bad Leaver handele. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass gerade zu Beginn eines Vestingzeitraums das gegenseitige Kennenlernen zwischen den Gründern und den Investoren und gegebenenfalls die Adjustierung der Zusammenarbeit unter den veränderten Rahmenbedingungen im Vordergrund stehe.
Ob sich diese Sichtweise des KG in der Rechtsprechung bestätigen wird, bleibt abzuwarten. Die Argumente gegen diese Sichtweise liegen auf der Hand: Haben die anderen Gesellschafter es während der Laufzeit der Vesting-Klausel beliebig, also ohne besonderen Grund, in der Hand, einem Gründer dessen Anteile (gegebenenfalls zu einem geringen Wert) abzunehmen, kann dieses Recht missbräuchlich eingesetzt werden. So können beispielsweise Gründer kostengünstig „aussortiert“ werden, die den wesentlichen Teil ihrer Arbeit geleistet haben und nicht mehr gebraucht werden. Allein die Drohung mit dem Gebrauchmachen ermöglicht es gegebenenfalls auch, dem Gründer Zugeständnisse abzuringen, zu denen er sonst nicht bereit wäre. In der Praxis von Gesellschaftervereinbarungen findet sich daher häufig eine Unterscheidung zwischen sogenannten Good Leaver und Bad Leaver-Fällen. Da diese Unterscheidung an zahlreichen Stellen ansetzen kann (beim „ob“ des Ausscheidens, beim Vesting-Zeitraum oder bei der Höhe der zu zahlenden Abfindung) ist bei den Verhandlungen auf die entsprechende Gestaltung zu achten.