Arbeitnehmer, die an einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (kurz: BEM) teilnehmen, können nach neuer Rechtslage durch das Teilhabestärkungsgesetz vom 02.06.2021 mit Wirkung ab dem 10.06.2021 eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen.
Nach § 167 Abs. 2 SGB (Sozialgesetzbuch) IX hat der Arbeitgeb er ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, falls ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Dabei müssen die krankheitsbedingten Fehlzeiten nicht durchgängig mehr als sechs Wochen betragen. Ausreichend ist, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten insgesamt mehr als sechs Wochen im Jahr betragen.
Ziel des Eingliederungsmanagements ist es, die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu überwinden, einer zukünftigen Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers auf Dauer zu erhalten, um eine personenbedingte Kündigung des Arbeitnehmers zu vermeiden. Das betriebliche Eingliederungsmanagement besteht darin, dass der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat – bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung – die Möglichkeit klärt, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuten Arbeitsunfähigkeiten vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Vom Anwendungsbereich des § 167 Abs. 2 SGB IX erfasst, sind alle Arbeitgeber, unabhängig von ihrer Größe und der Existenz eines Mitbestimmungsorgans. Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist selbst im Kleinbetrieb und innerhalb der Wartefrist (Beschäftigungsverhältnis, welches noch nicht länger als 6 Monate besteht) des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) einzuhalten. Das BEM ist für den Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtend durchzuführen. Das Einverständnis des betroffenen Beschäftigten zur Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist jedoch zwingende Voraussetzung. Allein bei einer Weigerung des Beschäftigten findet es nicht statt. Das Gesetz sieht die Initiativlast zur Einleitung des BEM beim Arbeitgeber, wenn die Voraussetzungen des § 167 Abs. 2 SGB IX vorliegen. Das „regelkonforme Ersuchen“ des Arbeitgebers um die Zustimmung zur Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements erfolgt in der Praxis oft durch ein offizielles Einladungsschreiben. In dem Einladungsschreiben muss der betroffene Beschäftigte über die Datenerhebung und -verwendung aufgeklärt werden. Ihm ist der zwingende Hinweis auf die Freiwilligkeit des BEM zu erteilen. Ebenso der Hinweis, dass die Möglichkeit besteht, die in § 167 Abs. 2 SGB IX genannten Personen und Stellen hinzuzuziehen oder davon Abstand zu nehmen. Stimmt der Arbeitnehmer, trotz ordnungsgemäßer Aufklärung, der Durchführung des BEM nicht zu, wird ein solches Verfahren nicht durchgeführt und der Arbeitgeber darf in diesem Fall auch nicht die weiteren – möglichen – Verfahrensbeteiligten unterrichten bzw. einschalten.
Das Gesetz in der bisherigen Fassung regelt abschließend, welche Stellen und Personen der Arbeitgeber von sich aus an diesem sogenannten Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) beteiligen muss, wobei nach der Rechtsprechung immer vorausgesetzt ist, dass der Beschäftigte mit deren Teilnahme ausdrücklich einverstanden ist. Diese Stellen und Personen waren bisher:
- der Betriebs- oder Personalrat,
- die Schwerbehindertenvertretung, falls der Beschäftigte ein schwerbehinderter Mensch ist,
- der Werks- oder Betriebsarzt, wenn dies erforderlich ist,
- die Rehabilitationsträger (§ 6 SGB IX), falls es um Leistungen zur Teilhabe geht und der Beschäftigte kein Schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Mensch ist,
- die Integrationsämter (§§ 184, 185 Abs. 1 SGB IX), falls es um begleitende Hilfen im Arbeitsleben geht (§§ 185 Abs. 2 und 3 SGB IX) und der Beschäftigte ein Schwerbehinderter oder ein gleichgestellter behinderter Mensch ist.
Das Gesetz benennt die vom Arbeitgeber neben dem betroffenen Arbeitnehmer zu beteiligenden Personen und Stellen ausdrücklich und sah die Hinzuziehung einer Vertrauensperson (zBsp. Rechtsbeistand) nicht vor. In der Rechtsprechung wurde bislang vertreten, dass der Beschäftigte keinen Anspruch auf Hinzuziehung einer Vertrauensperson, etwa eines Rechtsanwalts, Ehepartners oder Lebensgefährten, hat und eine Hinzuziehung vom Arbeitgeber bislang abgelehnt werden konnte (vgl. LAG Hamm, Urt. v. 13.11.2014, 15 Sa 979/14; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18.12.2014, 5 Sa 518/14; LAG Köln, Urt. v. 23.1.2020, 7 Sa 471/19).
Die Hinzuziehung einer Vertrauensperson wurde in der Rechtsprechung mit der Begründung abgelehnt, dass die gesetzliche Regelung des § 167 Abs. 2 SGB IX a.F. die Hinzuziehung einer Vertrauensperson ausdrücklich nicht regelte und die zu beteiligenden Personen und Stellen in § 167 Abs. 2 SGB IX a.F. abschließend gesetzlich geregelt wurden. Darüber hinaus handele es sich bei der Durchführung des BEM um ein nicht-formalisiertes Verfahren mit dem Ziel, festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen. Die Erörterung von Rechtsfragen sei nicht Gegenstand des BEM und erfordere daher nicht die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes. Eine höchstinstanzliche Rechtsprechung des BAG zu der Rechtsfrage liegt nicht vor.
Mit der nun durch – das Teilhabestärkungsgesetz vom 02.06.2021 – beschlossenen Neufassung des § 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX, die am 10.06.2021 in Kraft getreten ist, ist es dem betroffenen Beschäftigten jetzt gestattet, eine Person des Vertrauens hinzuzuziehen. Die Vertrauensperson kann an allen BEM-Gesprächen teilnehmen, kann Einblick in die BEM-Unterlagen nehmen und hat wie alle anderen Verfahrensbeteiligten ein Rederecht. Auf diese Möglichkeit der Hinzuziehung einer Vertrauensperson muss der Arbeitgeber ab sofort den betroffenen Beschäftigten im Rahmen seines BEM-Einladungsschreibens hinweisen. Sollte der Hinweis nicht aufgenommen werden, ist das BEM-Einladungsschreiben rechtlich unzureichend und ein solcher Mangel führt zu einem fehlerhaften BEM. So hat das BAG (Urt. v. 10.12.2009, 2 AZR 400/08) klargestellt, dass ein nicht ordnungsgemäßes BEM einem unterlassenen BEM gleichsteht. Nach der Rechtsprechung des BAG ist die Durchführung eines BEM zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung, die Regelung des § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiere jedoch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das BEM stellt zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung dar, aber durch dessen Durchführung können gegebenenfalls mildere Mittel festgestellt und entwickelt werden. Wird daher im Rahmen der Durchführung eines BEM festgestellt, dass Möglichkeiten einer alternativen Beschäftigung im Betrieb oder Unternehmen des Arbeitsgebers bestehen, durch die die Kündigung vermieden werden kann, so wäre eine dennoch ausgesprochene Kündigung unverhältnismäßig und folglich rechtunwirksam. Der Arbeitgeber muss im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens das Fehlen von alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten darlegen und beweisen. Der Arbeitgeber kann sich nicht auf seine schlichte Unkenntnis alternativer und leidensgerechter Beschäftigungsmöglichkeiten berufen, sondern muss deren Vorhandensein konkret darlegen und ggfs. auch beweisen. Ein nicht ordnungsgemäß durchgeführtes BEM-Verfahren, welches nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen entspricht, kann zur Unbeachtlichkeit des Verfahrens insgesamt führen. In diesem Fall und für den Fall, dass der Arbeitgeber ein BEM nicht durchgeführt hat, hat der Arbeitgeber von sich aus darzulegen, weshalb denkbare oder vom Arbeitnehmer aufgezeigte Alternativen zu den bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten mit der Aussicht auf eine Reduzierung der Ausfallzeiten nicht in Betracht kommen.
In der Praxis scheitern personenbedingte Kündigungen ohne vorheriges, ordnungsgemäß durchgeführtes BEM in den allermeisten Fällen.
Auswirkungen auf die Praxis
Welche praktischen Auswirkungen die gesetzliche Neuregelung des § 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX in Bezug auf die Hinzuziehung einer Vertrauensperson im Rahmen der Durchführung des BEM haben wird, bleibt mit Spannung abzuwarten.
Die Regelung des § 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX gewährt nur dem betroffenen Beschäftigten das Recht zur Hinzuziehung einer Vertrauensperson und dem Arbeitgeber gerade nicht. Damit kann sich zumindest ein Ungleichgewicht in der Kenntnis sozialrechtlicher Regelungen ergeben. Zudem bleibt abzuwarten, ob sich die Befürchtung der bisherigen Rechtsprechung dahingehend bewahrheitet, dass sich die Durchführung des BEM zukünftig schwieriger und langwieriger gestaltet, wenn eine Vertrauensperson wie ein Rechtsanwalt durch den Beschäftigten hinzugezogen werden kann. Dies wollte die Rechtsprechung gerade vermeiden.
Auch mit dem gesetzlichen Zweck des BEM scheint die Hinzuziehung einer Vertrauensperson schwer vereinbar. Der Zweck des betrieblichen Eingliederungsmanagement besteht darin, zu klären, wie eine Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann. Zudem soll geprüft werden, mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Es geht also um die Gesundheit des erkrankten Arbeitnehmers und die Frage, welche Möglichkeiten der Arbeitgeber gegebenenfalls unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfen hat, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu fördern und eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen. Das BEM ist somit sehr vertraulich. Sein Erfolg hängt auch davon ab, dass die Beteiligten vertrauensvoll miteinander umgehen können. Interesse an der Vertraulichkeit der Gespräche hat dabei nicht nur der Arbeitnehmer, um dessen Gesundheitsdaten es geht, sondern auch der Arbeitgeber. Unter Umständen werden in den Gesprächen vertrauliche Betriebsinterna und Geschäftsgeheimnisse thematisiert. Außerdem ist es fraglich, ob die Vertrauensperson, die in der Regel keine medizinischen Kenntnisse hat und den konkreten Arbeitsplatz und den Betrieb nicht kennt, einen sinnvollen Beitrag leisten kann.