Wegen der Kriegsereignisse in der Ukraine und der in diesem Zusammenhang verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland sind die Preise vieler Baustoffe zum Teil erheblich gestiegen. Etwa 30 % des Baustahls kommen aus Russland, der Ukraine und Weißrussland. Hinzu kommt der hohe Anteil von Roheisen (40 % aus diesen Ländern) und diverser weiterer Rohstoffe, die für die Stahllegierung notwendig sind. Auch rund 30 % der hiesigen Bitumenversorgung erfolgt in Abhängigkeit von Russland. Ebenso sind die Kosten für Energie und Kraftstoffe erheblich gestiegen.
Diese Entwicklungen haben extreme Auswirkungen auf künftige Bauprojekte. Dabei wird ganz besondere Sorgfalt darauf zu legen sein, die terminlichen und preislichen Auswirkungen von Lieferengpässen und Kostensteigerungen wichtiger Baumaterialien zu berücksichtigen. Problematisch ist die Anpassung bereits vereinbarter Bauverträge. Solche bestehenden Verträge sind grundsätzlich einzuhalten und die Leistungen von den Unternehmen wie beauftragt auszuführen. Ungeachtet dessen können die Kriegsereignisse in der Ukraine und die dadurch unmittelbar oder mittelbar hervorgerufenen Materialengpässe und Materialpreissteigerungen auch insoweit rechtliche Folgen haben.
Verlängerung von Vertragslaufzeiten, § 6 VOB/B
Sind Baumaterialien aus den betroffenen Produktgruppen als Folge des Ukraine-Krieges nicht oder zumindest vorübergehend nicht durch das Unternehmen beschaffbar, ist von einem Fall der höheren Gewalt bzw. einem anderen nicht abwendbaren Ereignis i.S.v. § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B auszugehen. Als Rechtsfolge wird die Ausführungsfrist verlängert für die Dauer der Nichtlieferbarkeit der Stoffe zzgl. eines angemessenen Aufschlags für die Wiederaufnahme der Arbeiten, § 6 Abs. 4 VOB/B. Auf Bauherrenseite entstehen dabei keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche gegen den Auftragnehmer. Umgekehrt gerät auch der Auftraggeber gegenüber nachfolgenden Gewerken nicht in Annahmeverzug, wenn sich deren Leistung aus den vorgenannten Gründen verschieben muss (BGH, Urt. v. 20.04.2017, VII ZR 194/13).
Preisanpassung nach § 313 BGB
Sind die Materialien aus den zuvor genannten Gründen zwar zu beschaffen, muss der Auftragnehmer jedoch wesentlich höhere Einkaufspreise zahlen als im Auftrag mit dem Bauherrn kalkuliert, kann dies zu einem Anspruch des Auftragnehmers auf Preisanpassung führen.
Bauherr und Auftragnehmer haben den Auftrag in der Erwartung geschlossen, dass sich die erforderlichen Materialien grundsätzlich beschaffen lassen und deren Preise nur den allgemeinen Unwägbarkeiten des Wirtschaftslebens unterliegen. Sie hätten den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen, hätten sie gewusst, dass die kommenden Kriegsereignisse in der Ukraine derart unvorhersehbaren Einfluss auf die Preisentwicklung nehmen würden. Zwar ordnet der Bauvertrag das Materialbeschaffungsrisiko grundsätzlich der Risikosphäre des Unternehmers zu. Dies gilt aber nicht in Fällen höherer Gewalt. Gravierende Preissteigerungen im Zuge des Ukraine-Krieges sind Fälle höherer Gewalt. Es ist dann eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen und sorgfältig herauszuarbeiten, zu welcher Materialposition in welchem Umfang Kostensteigerungen einhergehen. Eine ohne Vertragsanpassung drohende Insolvenz des Auftragnehmers ist einerseits zwar nicht Voraussetzung, andererseits genügt es nicht, wenn die höheren Materialpreise den kalkulierten Gewinn aufzehren. In welchem Umfang eine Preisanpassung vorzunehmen ist, bleibt dann wiederum der Abwägung des Einzelfalles vorbehalten. Der BGH hat in seinem Urteil aus Januar dieses Jahres zur Mietanpassung im Zuge der COVID-19-Pandemie (Urt. v. 12.01.2022, XII ZR 8/21) festgestellt, dass jedenfalls nicht ohne Einzelfallbetrachtung eine Verteilung des Kostenrisikos jeweils zur Hälfte statthaft ist. Diese Überlegung wird man auf eine Preisanpassung für Materialpreise in Fällen höherer Gewalt übertragen können. Grundlage der Anpassung sind aber nur die reinen Materialpreise. Die Zuschläge beispielsweise für Gewinn, Wagnis und Baustellengemeinkosten bleiben unberücksichtigt.
Die aufgezeigten Probleme sind derzeit bei nahezu sämtlichen Großbaustellen Gegenstand von Diskussionen und rechtlichen Auseinandersetzungen. In diesem Bereich sind die im Baurecht tätigen Anwälte von SPIEKER & JAEGER umfangreich aktiv. Eine frühzeitige anwaltliche Begleitung mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung zwischen den am Bau beteiligten Parteien ist dabei oberstes Ziel, dies allerdings nicht – im wahrsten Sinne – um jeden Preis.