Spätestens mit dem endgültigen Wiederaufleben der Insolvenzantragspflicht seit dem 01.05.2021 müssen sich auch Steuerberater mit deren Auswirkungen für ihre Mandanten befassen – und zwar nicht zuletzt, weil immense Haftungsrisiken auch für den steuerlichen Berater selbst bestehen. Gefahr droht hier in erster Linie nicht von den Mandanten. Vielmehr ist es in der Regel der Insolvenzverwalter, der auf der Suche nach Ansprüchen zur Masseanreicherung der insolventen Gesellschaft den steuerlichen Berater – und dessen Berufshaftpflichtversicherer – als liquides und damit lohnenswertes Ziel ausmacht. Grund genug, die wichtigsten Haftungsfallen im Zusammenhang mit der möglichen Insolvenzreife des Mandanten zu rekapitulieren:
Erstellung des Jahresabschlusses auf Grundlage von Fortführungswerten
Zum einen müssen sich Steuerberater bei der Erstellung des Jahresabschlusses mit der Frage befassen, ob dieser auf der Grundlage von Fortführungswerten erstellt werden darf. Nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) ist bei der Bewertung von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Hiervon darf nach § 252 Abs. 2 HGB nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. Geht der Jahresabschluss angesichts einer bestehenden Insolvenzreife der Gesellschaft allerdings zu Unrecht von Fortführungswerten aus, kann der Jahresabschluss nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen zur Haftung des Steuerberaters führenden Mangel aufweisen (Urt. v. 26.01.2017, IX ZR 285/14). Ohne besondere Vereinbarung ist der Steuerberater zwar nicht verpflichtet, von sich aus die für die Fortführungsprognose erheblichen Tatsachen zu ermitteln. Vielmehr ist der Jahresabschluss lediglich auf der Grundlage der dem Steuerberater zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm bekannten Umstände zu erstellen. Nur in diesem Rahmen hat der Steuerberater zu prüfen, ob tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten bestehen, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können. Erscheint auf Grundlage der dem Steuerberater zu Verfügung stehenden Informationen die Vermutung des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB widerlegt oder bestehen ernsthafte Zweifel, die nicht ausgeräumt werden, darf der Steuerberater jedoch dem Jahresabschluss keine Fortführungswerte zugrunde legen.
Folgen aus den dem Steuerberater zur Verfügung gestellten Unterlagen und den ihm bekannten Umständen tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten, die einer Bilanzierung nach Fortführungswerten entgegenstehen können, muss der Steuerberater vom Mandanten abklären lassen, ob gleichwohl noch Fortführungswerte zugrunde gelegt werden können. Die Rechtsprechung ist streng: Liegen Hinweise auf wirtschaftliche Schwierigkeiten vor, ist die Fortführungsfähigkeit näher zu überprüfen. Dies gilt insbesondere für Anzeichen, die einen Insolvenzgrund darstellen können, etwa wenn das Unternehmen erhebliche Verluste erwirtschaftet, eine zu geringe Eigenkapitalausstattung aufweist oder in Liquiditätsschwierigkeiten gerät. Ein weiteres Indiz ist die bilanzielle Überschuldung, die Anlass geben kann, eine insolvenzrechtliche Überschuldung zu prüfen. Liegen solche ernsthaften Indizien, die eine Unternehmensfortführung zweifelhaft erscheinen lassen, vor, darf der Jahresabschluss nur dann auf der Grundlage der Fortführungswerte erstellt werden, wenn anhand konkreter Umstände feststeht, dass diese belastenden Indizien einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit jedenfalls nicht entgegenstehen. Andernfalls haben die gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft eine sogenannte explizite Fortführungsprognose zu erstellen, das heißt eingehende Untersuchungen durchzuführen und dabei anhand aktueller, hinreichend detaillierter und konkretisierter interner Planungsunterlagen zu analysieren, ob weiterhin von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen ist. Eine solche explizite Fortführungsprognose darf der Steuerberater bei der Erstellung des Jahresabschlusses zugrunde legen, wenn diese nicht evident untauglich ist. Legt der Mandant sie nicht von sich aus vor, muss dies der Steuerberater anmahnen. Er darf sich nicht auf bloße Aussagen der Geschäftsführer oder der Gesellschaft ohne sachlichen Gehalt verlassen. Er ist zwar nicht verpflichtet, die notwendigen Überprüfungen ohne gesonderten Auftrag selbst zu veranlassen oder durchzuführen. Er muss jedoch dafür Sorge tragen, dass der Mandant die gegen einen Ansatz von Fortführungswerten bestehenden Bedenken ausräumt, und daher die vom Mandanten abgegebenen Erklärungen daraufhin überprüfen, ob sie stichhaltig sind und Substanz aufweisen.
Weist der Steuerberater konkret auf die Zweifel an der Fortführungsprognose und die Umstände im Einzelfall hin und wird er daraufhin von dem Mandanten angewiesen, die Bilanz gleichwohl mit Fortführungswerten zu erstellen, entfällt jedoch die Haftung für Mängel. Die erteilte Anweisung ist in dem erstellten Entwurf des Jahresabschlusses zu dokumentieren.
Ist der Jahresabschluss mangelhaft, stehen dem Mandanten – in der Regel vom Insolvenzverwalter geltend gemachte – Schadensersatzansprüche zu. Gelingt dem Kläger der Beweis, dass der mangelhafte Jahresabschluss kausal für den unterlassenen Insolvenzantrag war, richtet sich die Ersatzpflicht auf den Insolvenzverschleppungsschaden.
Warn- und Hinweispflichten
Zudem können den Steuerberater aber auch Warn- und Hinweispflichten treffen. Eine Hinweispflicht des Steuerberaters besteht auch außerhalb des beschränkten Mandatsgegenstandes, soweit die Gefahren dem Steuerberater bekannt oder für ihn offenkundig sind oder sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen und wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich der Gefahr nicht bewusst ist. Dies gilt insbesondere, wenn die Gefahr Interessen des Auftraggebers betrifft, die mit dem beschränkten Auftragsgegenstand in engem Zusammenhang stehen. Selbst wenn der Jahresabschluss nach den dargelegten Maßstäben mangelfrei ist, kann sich bei Verletzung der Warn- und Hinweispflichten eine Schadensersatzpflicht ergeben. Die Hinweis- und Warnpflichten auf mögliche Insolvenzgründe und sich daran anknüpfende Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hat der Gesetzgeber als Instrument zur Früherkennung der Bestandsgefährdung eines Unternehmens seit dem 01.01.2021 nunmehr auch in § 102 des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) gesetzlich geregelt. Insbesondere, wenn der Steuerberater seinen Mandanten auch betriebswirtschaftlich berät oder beraten hat, dürften ihm insolvenzrechtliche Gefahren meist bekannt sein. Die Warn- und Hinweispflichten treffen auch Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte, wenn sie mit der Erstellung von Jahresabschlüssen betraut sind.
Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Geschäftsleiter
Schließlich können zudem Ansprüche der Geschäftsleiter gegen die steuerlichen Berater bestehen, auch wenn zwischen diesen gar keine vertraglichen Beziehungen bestehen, sondern lediglich zwischen steuerlichem Berater und der beratenen Gesellschaft. Der Geschäftsleiter kann nämlich in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen sein; d.h. die Sorgfaltspflichten des Steuerberaters bestehen nicht nur gegenüber dem eigentlichen Mandanten (also der beratenen Gesellschaft), sondern auch gegenüber dem Geschäftsleiter. Besonders virulent ist in diesem Zusammenhang die Haftung der Geschäftsleiter nach § 15b Abs. 4 InsO (bis Ende 2020 u.a. in § 64 GmbHG normiert). Nach dieser Vorschrift sind Geschäftsleiter zur Erstattung von Zahlungen verpflichtet, die die Gesellschaft nach dem Eintritt von Insolvenzreife geleistet hat. Auch hierbei handelt es sich um einen Anspruch, der im Grunde nur vom Insolvenzverwalter in der Insolvenz der Gesellschaft verfolgt wird. Wird der Geschäftsleiter in Anspruch genommen, stellt sich für diesen die Frage, ob er sich seinerseits beim Steuerberater schadlos halten kann. Der Bundesgerichtshof hat hierzu entschieden (Urt. v. 14.06.2012, IX ZR 145/11), dass der Gesellschafter und der Geschäftsführer in den Schutzbereich eines zwischen einer GmbH und einem Steuerberater geschlossenen Vertrages einbezogen sein können, welcher die Prüfung einer möglichen Insolvenzreife der GmbH zum Gegenstand hat. Angesichts der – nunmehr auch ausdrücklich normierten – Warn- und Hinweispflichten dürfte dies aber genauso gelten, wenn die Prüfung der Insolvenzreife gerade nicht Vertragsgegenstand war, die Insolvenzreife der Mandantin aber offenkundig ist oder sich dem steuerlichen Berater bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen muss. Der Steuerberater hat dann dem Geschäftsleiter die Zahlungen, die dieser an die Gesellschaft zu erstatten hat, als Schaden zu ersetzen. Ist bei dem Geschäftsleiter allerdings nichts zu holen, liegt es für den Insolvenzverwalter nahe, mit diesem zu vereinbaren, dass der Geschäftsleiter dem Insolvenzverwalter seine Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter abtritt. Der Insolvenzverwalter macht dann unmittelbar Ansprüche gegen den Steuerberater geltend.
Anfechtung von Honorarzahlungen
Besonders unerfreulich ist, dass trotz der immensen Haftungsrisiken obendrein möglicherweise der Insolvenzverwalter die Rückzahlung bereits vereinnahmter Honorarzahlungen des Mandanten fordert. Der Insolvenzanfechtung unterliegen unter anderem Honorarzahlungen in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag, wenn der Mandant zahlungsunfähig war und der Steuerberater die Zahlungsunfähigkeit kannte. Übernimmt der Steuerberater auch die Buchhaltung des Mandanten, ist dies für ihn besonders misslich: Fließen ihm alle über die wirtschaftliche Lage des Auftraggebers erheblichen Daten üblicherweise im normalen Geschäftsgang zu, so dass er über den gleichen Wissensvorsprung verfügt, den sonst ein mit der Aufgabe befasster leitender Angestellter des Schuldnerunternehmens hätte, ist der Steuerberater nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (Urt. v. 15.11.2012, IX ZR 205/11) als nahestehende Person des Schuldners anzusehen mit der Folge, dass seine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit vermutet wird. Die Zahlungen können aber nach den Grundsätzen des sog. Bargeschäftes unanfechtbar sein. Voraussetzung ist ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Rechnungsstellung nach Leistungserbringung und der Zahlung, die am besten durch Vorschusszahlung sichergestellt wird. Keinesfalls sollten Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen oder Honorarzahlungen gestundet werden.
Bei der Insolvenzberatung des Mandanten ist schließlich zu beachten, dass die Grenzen zulässiger Rechtsberatung durch den Steuerberater eingehalten werden. Bei aktiven rechtlichen Gestaltungsmaßnahmen wird diese Grenze schnell überschritten sein, so dass in diesem Fall ein rechtlicher Berater hinzugezogen werden sollte. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der steuerliche Berater gleichwohl für die von ihm erteilte Auskunft haftet, hierfür nicht versichert ist und zudem keinen Honoraranspruch hat.