Neues Schuldrecht 2022 – Änderungen im Kaufrecht und bei digitalen Inhalten

In Umsetzung der neuen Warenkaufrichtlinie 2019/771/EU und der Digitale-Inhalte-Richtlinie 2019/770/EU in das nationale Recht hat der Gesetzgeber im Juni 2021

  • das Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrages und
  • das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen

beschlossen. Seit dem 01.01.2022 ist diese größte Änderung des allgemeinen Zivilrechts seit der großen Schuldrechtsreform 2002 in Kraft und gilt für Verträge, die seit diesem Zeitpunkt geschlossen wurden.

Zweck der Neuregelung war es, das Kaufrecht innerhalb der Europäischen Union zu harmonisieren und dem neuen digitalen Zeitalter anzupassen und gleichzeitig das Verbraucherschutzniveau zu erhöhen. Aufgrund der rasch voranschreitenden technologischen Entwicklung in vielen Bereichen war die Novellierung nötig. Da es sich um sog. vollharmonisierende Richtlinien handelte, hatten die Europäischen Mitgliedstaaten bei der Umsetzung keinen Spielraum, um unterschiedliche Schutzniveaus in den Staaten zu vermeiden.

Nachfolgend wollen wir Ihnen einen Überblick über einige wesentliche Änderungen geben:

Die Änderung des Sachmangelbegriffs in § 434 BGB

Nach § 434 BGB, der bestimmt, wann eine verkaufte Sache mangelhaft ist, galt bis zum 31.12.2021 der subjektive Mangelbegriff. Danach lag ein Mangel vor, wenn der Kaufgegenstand nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufwies. Lag keine Vereinbarung vor, kam es für die Annahme eines Mangels darauf an, ob sich die Sache für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignete und ansonsten, ob sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignete und die für entsprechende Sachen übliche Beschaffenheit aufwies.

Dieser gestufte Mangelbegriff ist einem kumulativen Mangelkonzept gewichen:

Nach der Neufassung des § 434 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang kumulativ sowohl den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht.

Wann eine Sache den subjektiven Anforderungen entspricht, regelt § 434 Abs. 2 BGB neuer Fassung (n.F.) Danach kommt es darauf an, dass die Sache die vereinbarte Beschaffenheit hat, sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen, übergeben wird. Soweit nicht wirksam etwas anderes vereinbart wurde, entspricht die Sache nach § 434 Abs. 3 BGB den objektiven Anforderungen, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet, eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann, der Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters entspricht, die oder das der Verkäufer dem Käufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat, und mit dem Zubehör einschließlich der Verpackung, der Montage- oder Installationsanleitung sowie anderen Anleitungen übergeben wird, deren Erhalt der Käufer erwarten kann.

Lag also nach der alten Rechtslage kein Mangel vor, wenn die verkaufte Sache nur die vereinbarte Beschaffenheit aufwies, kommt es heute zusätzlich auf die objektiven Anforderungen an, wenn nicht etwas anderes vereinbart wurde. Für Geschäfte mit Verbrauchern gelten insoweit erhebliche Anforderungen: Von den Anforderungen nach § 434 Abs. 3 BGB kann nämlich nur abgewichen werden, wenn der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht und die Abweichung im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.

Aufnahme neuer Begriffs- und Vertragskategorien

In den Zeiten zunehmender Digitalisierung werden immer mehr Produkte „smart“. Ohne entsprechende Software und Online-Anbindung sind diese teilweise überhaupt nicht mehr zu nutzen. Daher war es an der Zeit, das BGB auch insoweit zukunftsfähig zu machen.

Eingang in das BGB hat daher eine ganz neue Kategorie gefunden: der Kaufvertrag über Waren mit digitalen Elementen, wie z.B. der Kauf einer Spielekonsole. Waren mit digitalen Elementen sind nach § 327a Abs. 3 BGB solche, die in einer Weise digitale Produkte enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Produkte nicht erfüllen können. Auch der Begriff der „digitalen Produkte“ ist neu und in § 327 Abs. 1 BGB als Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen definiert. Digitale Inhalte wiederum sind Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden. Digitale Dienstleistungen sind Dienstleistungen, die dem Verbraucher die Erstellung, die Verarbeitung oder die Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten ermöglichen, oder die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen.

Für Verbrauchsgüterkaufverträge über Waren mit digitalen Elementen gilt künftig beispielsweise ein eigener Sachmangelbegriff nach § 475b BGB (abweichend von § 434 BGB). Ob die gelieferte Sache demnach mangelfrei ist, bestimmt sich vor diesem Hintergrund auch danach, ob dem Verbraucher während des Zeitraums, den er aufgrund der Art und des Zwecks der Ware und ihrer digitalen Elemente sowie unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags erwarten kann, Aktualisierungen bereitgestellt werden, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit der Ware erforderlich sind, und der Verbraucher über diese Aktualisierungen informiert wird. Darauf folgt, dass – anders als nach alter Rechtslage – erstmals im deutschen Recht gelieferte Sachen auch nachträglich mangelhaft werden können.

Aktualisierungspflicht

Für Unternehmen ergibt sich aus der eben beschriebenen Regelung eine Aktualisierungspflicht. Offen hat der Gesetzgeber allerdings gelassen, wie lange diese Aktualisierungspflicht gilt. Es wird vielmehr ganz abstrakt abgestellt auf einen Zeitraum, den der Verbraucher aufgrund der Art und des Zwecks der Ware und ihrer digitalen Elemente sowie unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags erwarten kann.

Diesbezüglich sehen sich Unternehmen also einer erheblichen Rechtsunsicherheit ausgesetzt. Die Rechtsprechung wird erst in der Zukunft Kriterien entwickeln können, um den geschuldeten Zeitraum näher zu bestimmen. Bis dahin sollten Unternehmen vorsichtig vorgehen und eher von längeren Zeiträumen ausgehen, mindestens aber von 2 Jahren.

Ausweitung des Verbraucherschutzes

Mit Ausnahme der oben beschriebenen Aktualisierungspflicht gilt grundsätzlich, dass ein Mangel bereits bei Gefahrübergang vorliegen muss. Der Gesetzgeber hatte bereits früher gesehen, dass es Verbrauchern faktisch nur sehr schwer möglich sein könnte zu beweisen, dass ein sich erst nach einiger Zeit zeigender Mangel bereits bei Gefahrübergang vorhanden oder jedenfalls im Produkt „angelegt“ war. Aus diesem Grunde gab es schon vor der aktuellen Gesetzesänderung eine Beweislastumkehr, wonach davon ausgegangen wurde, dass ein Mangel schon bei Gefahrübergang vorhanden war.

Waren es bei Kaufverträgen mit Verbrauchern früher 6 Monate ab Gefahrübergang, in denen gesetzlich vermutet wurde, dass ein Mangel schon bei Gefahrübergang vorlag, so ist die Dauer dieser Beweislastumkehr mit der gesetzlichen Neuregelung in § 477 BGB nunmehr auf 1 Jahr ausgedehnt worden. Lediglich bei Kaufverträgen über Tiere bleibt es bei der alten Dauer von 6 Monaten.

In §§ 475d und 475e BGB hat der Gesetzgeber ferner die Voraussetzungen für einen Rücktritt zugunsten der Verbraucher ausgeweitet sowie die Regelungen zur Verjährung ebenfalls zulasten der Unternehmen angepasst.

Bezahlung mit Kryptos oder personenbezogenen Daten

Der Gesetzgeber hat erkannt, dass die vom Verbraucher für eine (häufig digitale) Leistung zu erbringende Gegenleistung nicht zwingend ein Entgelt sein muss. Durch Facebook, Instagram & Co. haben wir gelernt, dass auch Daten einen erheblichen Wert für Unternehmen haben.

Entsprechend ordnet § 312 Abs. 2 BGB (ebenso § 327 Abs. 3 BGB) nunmehr an, dass die Regelungen über Verbraucherverträge auch in solchen Fällen anzuwenden sind, in denen der Verbraucher dem Unternehmer – statt eines Entgelts – personenbezogene Daten bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Unternehmer die vom Verbraucher bereitgestellten personenbezogenen Daten ausschließlich verarbeitet, um seine Leistungspflicht oder an ihn gestellte rechtliche Anforderungen zu erfüllen, und sie zu keinem anderen Zweck verarbeitet.

In § 327 Abs. 1 S. 2 BGB wird darüber hinaus geregelt, dass ein an einen Unternehmer zu zahlender Preis „auch eine digitale Darstellung eines Werts“ sein kann. Dieser Begriff ist zwar nicht durch den Gesetzgeber definiert, darunter dürften jedoch elektronische Gutscheine, Kryptowährungen, wie z.B. der Bitcoin, oder sog. Token fallen.

  • Kay U. Koeppen, LL.M.

    • Rechtsanwalt
    • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
    • Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht