Die Bundesregierung hat am 28. September 2016 den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zur 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) mit einigen Änderungen beschlossen.
Die Gesetzesnovelle betrifft insbesondere die Umsetzung der EU-Kartellschadensersatz-richtlinie („SchE-RiLi“), die Aufgreifschwellen in der Fusionskontrolle, die Einführung einer Konzernhaftung, die Änderungen der Rechtnachfolge zur Schließung der sog. „Wurstlücke“ und die Berücksichtigung unentgeltlicher Leistungsbeziehungen im Rahmen der Missbrauchsaufsicht.
Die SchE-RiLi muss bis zum 27. Dezember 2016 in nationales Recht umgesetzt werden. Daher plant der Gesetzgeber, dass die 9. GWB-Novelle bis zu diesem Zeitpunkt in Kraft treten soll. Im Folgenden werden diese wesentlichen Neuerungen durch die 9. GWB-Novelle und ihre Auswirkungen überblicksartig erläutert.
Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie
Eine der wesentlichen Änderungen durch die 9. GWB-Novelle ist die Umsetzung der SchE-RiLi in deutsches Recht. Ziel der SchE-RiLi ist es, Kartellschadensersatzansprüche für Kartellgeschädigte leichter durchsetzbar zu machen. Hierzu sollen spezielle Haftungs- und Verfahrensregelungen im nationalen Recht ergänzt werden.
Es wird eine gesetzliche Vermutung hinzugefügt, dass durch Kartellabsprachen ein Schaden entstanden ist. Danach ist es an den Kartellanten, diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Die Vermutung beinhaltet allerdings keine Aussage über die Höhe des Schadens und lässt auch die Frage unbeantwortet, ob der Kläger tatsächlich durch das Kartell beeinträchtigt ist.
Verfahrensrechtlich soll es den Kartellgeschädigten erleichtert werden, von den Kartellanten, aber auch von Dritten, Auskunft und Herausgabe von Beweismitteln zu verlangen, die für die Geltendmachung der Kartellschadensersatzansprüche erforderlich sind. Gleichzeitig erhält aber auch der Kartellant einen vergleichbaren Auskunfts- und Herausgabe-anspruch gegen Kläger und Dritte, um sich gegen eine Kartellschadensersatzklage zu verteidigen. Auch eine Offenlegung von Behördenakten, mit Ausnahme von Kronzeugenanträgen und Vergleichsausführungen, ist vorgesehen. Dieser Anspruch soll allerdings subsidiär zum Herausgabeanspruch der Parteien oder Dritter sein.
Weiterhin wird die kenntnisabhängige Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche auf fünf Jahre verlängert. Die absolute Höchstfrist der Verjährung beträgt nach dem Entwurf 30 Jahre statt bisher 10 Jahre. Im Hinblick auf die Kronzeugenprivilegierung ist geplant, dass Kronzeugen nur gegenüber ihren unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten haften. So soll eine gesamtschuldnerische Haftung gegenüber direkten oder indirekten Abnehmern anderer Kartellanten ausgeschlossen sein.
Schließlich sollen die Kosten der Nebenintervention begrenzt werden, d. h. die Summe der Gegenstandswerte der einzelnen Nebeninterventionen darf den Wert des Streitgegenstands der Hauptsache nicht übersteigen. Dies soll für den Kartellgeschädigten die Risiken eines gerichtlichen Verfahrens bei größeren Kartellen begrenzen.
Einführung einer Konzernhaftung
Zur Angleichung an das Unionsrecht und das durch die europäische Entscheidungspraxis geprägte Konzept der „wirtschaftlichen Einheit“ wird die Bußgeldhaftung von Muttergesellschaften einer am Kartellverstoß beteiligten Tochtergesellschaft gesamtschuldnerisch angenommen, soweit die Gesellschaften zum Zeitpunkt des Verstoßes ein einheitliches Unternehmen gebildet haben, also unmittelbar oder mittelbar ein bestimmender Einfluss auf die Leitungsperson der am Kartellverstoß beteiligten Tochtergesellschaft ausübt wurde. Kritisch betrachtet könnte hiermit eine faktische Zustandshaftung Einzug in das deutsche Recht erhalten. Zudem könnte die Einbeziehung einer Muttergesellschaft bei der Bußgeldbemessung (neben der Bußgeldgrenze) zu höheren Bußgeldern führen, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des gesamten Konzerns Berücksichtigung finden.
Weiterhin wird zur Meidung von Umstrukturierungen, die einer Umgehung einer Bußgeldhaftung dienen sollen, eine Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers sowie des wirtschaftlichen Nachfolgers (in Fällen von Vermögensverschiebungen) eingeführt.
Zusätzliche Beurteilungskriterien in der Missbrauchskontrolle
Um die Missbrauchskontrolle an die Anforderungen einer zunehmenden Digitalisierung anzupassen, soll gesetzlich geregelt werden, dass auch bei unentgeltlichen Leistungsbeziehungen (beispielsweise bei Hotelbuchungsportalen oder sozialen Netzwerken) ein (Wettbewerbs-)Markt vorliegt. Im Hinblick auf mehrseitige Märkte und die Beurteilung einer Marktstellung sollen zukünftig auch Aspekte wie Wechselaufwand zwischen den Netzwerken für Nutzer, Netzwerkeffekte und der Zugang zu Daten berücksichtigt werden. Dies soll eine adäquate kartellrechtliche Beurteilung insbesondere von Plattformmärkten gewährleisten.
Ergänzung der fusionskontrollrechtlichen Aufgreifschwellen
Als Folge des Erwerbs von WhatsApp durch Facebook, der die Anmeldeschwellen der deutschen Fusionskontrolle nicht erfüllt hatte, wird eine ergänzende Aufgreifschwelle in die deutsche Fusionskontrolle eingeführt. Diese soll sich auf die Gegenleistung für den Zusammenschluss beziehen und die Fusionskontrolle zur Anwendung bringen, wenn die Gegenleistung mehr als EUR 400 Mio. beträgt. Auf diese Weise sollen auch Fälle erfasst werden, bei denen ein großes Unternehmen ein kleines, noch umsatzschwaches Unternehmen zu einem verhältnismäßig hohen Kaufpreis erwirbt, in welchem sich das wettbewerbliche Potenzial des Zielunternehmens verdeutlicht. Das Kabinett hat die Aufgreifschwelle nicht nur von EUR 350 Mio. auf EUR 400 Mio. hochgesetzt, sondern auch als zusätzliche Anforderung aufgenommen, dass bei mehr als zwei beteiligten Unternehmen das Zielunternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig sein muss.
Weitere Änderungen
Daneben gibt es im Rahmen der 9. GWB-Novelle Änderungen im Hinblick auf das Verbot der Ausnutzung von Nachfragemacht, das Aufgreifen von kleinen Fusionen im Bereich der Hörfunk- und Fernsehunternehmen sowie im Bereich der Pressekooperationen. Schließlich werden auch im Bereich der Energiewirtschaft die besonderen Missbrauchsregeln bis 2022 verlängert.
Inkrafttreten und Wirkung
Der Entwurf enthält keine Übergangsvorschriften. Damit gelten die Regelungen der 9. GWB-Novelle ab ihrem Inkrafttreten. Nicht erfasst werden damit zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene Rechtsverhältnisse. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich in bereits anhängigen Schadensersatzprozessen ein Gericht an den vorgesehenen Neuregelungen orientieren wird.
Zu Fragen bei der strategischen Beurteilung, wie sich die gesetzlichen Neuerungen im Einzelfall auswirken, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.