Die in der öffentlichen Wahrnehmung fehlende Preiswirkung der Herabsetzung der Energiesteuer auf Kraftstoffe lies Rufe nach einem Einschreiten des Bundeskartellamtes (BKartA) laut werden. Allerdings waren die gleichsam entkoppelten Energiepreise nicht auf entsprechende Kartellrechtsverstöße der Anbieter, sondern wohl auf deren geringe Anzahl, mithin eine oligopolistische Marktstruktur zurückzuführen. Da das BKartA ausschließlich bei Kartellrechtsverstößen eingreifen kann, bot sich wohl hinreichender Anlass die kartellbehördlichen Befugnisse zu erweitern. Der Entwurf zu einer entsprechenden 11. GWB-Novelle unter dem etwas sperrigen Namen „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“ wurde durch das Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt und nunmehr durch das Bundeskabinett verabschiedet.
Entflechtung ohne Kartellrechtsverstoß?
Schon bisher kann das BKartA nach oder auch schon während einer Sektoruntersuchung festgestellte Kartellrechtsverstöße verfolgen, wobei sich die Behörde gerade bei Fällen des Marktmachtmissbrauches ganz erheblichen Beweisschwierigkeiten ausgesetzt sehen dürfte. Diesen behördlichen Nöten soll die Novelle nun durch weitergehende Eingriffsbefugnisse abhelfen, indem auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse der Sektoruntersuchung zur Abstellung festgestellter „erheblicher Wettbewerbsstörungen“ Maßnahmen sogar bis hin zu einer eigentumsrechtlichen Entflechtungsanordnung angeordnet werden können. Voraussetzung derartiger Verfügungen ist dabei gerade nicht ein entsprechender Kartellrechtsverstoß; es bedarf lediglich der behördlichen Feststellung einer erheblichen, andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbes.
Gleichsam flankiert wird diese durchaus weitgehende Befugnis durch die Möglichkeit bei einer drohenden Störung wirksamen Wettbewerbes Unternehmen auch dazu zu verpflichten, alle relevanten Zusammenschlüsse zur Fusionskontrolle anzumelden. Zwar besteht auch nach geltendem Recht eine entsprechende Anmeldeverpflichtung; diese ist jedoch bisher nicht an eine Wettbewerbsbehinderung, sondern an eine starke Marktposition der betroffenen Unternehmen geknüpft.
Vorteilsabschöpfung
Womöglich auch unter dem Eindruck eines politischen Willens zur Abschöpfung von „Übergewinnen“ greift der Novellenentwurf sodann eine sprichwörtliche Dunkelnorm des deutschen Kartellrechts auf. Schon nach geltendem Recht kann das BKartA Vorteile des Kartellrechtsverstoßes abschöpfen. Dies setzt jedoch sowohl eine gerichtssichere Berechnung des abzuschöpfenden Vorteils als auch den behördlichen Nachweis subjektiver Merkmale auf Seiten des Kartellanten voraus.
Da beide Voraussetzungen kaum je zu erfüllen waren, die Norm daher gleichsam ein Schattendasein fristete, werden nun erhebliche Änderungen vorgesehen. Die Berechnung soll durch eine gesetzliche Vermutung dahingehend ersetzt werden, dass ein Unternehmen bei einem nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß einen Vorteil in Höhe von 1 % seiner Inlandsumsätze erzielt hat.
Zweifel
Die Annahme liegt nahe, dass die politischen Zurufe infolge der Energiekrise bei den Novellenverfassern den Eindruck erweckt haben, dass es weiterer kartellbehördlicher Befugnisse bedürfe. Dies verkennt jedoch, dass die Kartellbehörden mit dem Kartellverbot, der Missbrauchsaufsicht und der Fusionskontrolle schon bisher über ganz erhebliche Befugnisse verfügen. Die bei nur oberflächlicher Betrachtung so unscheinbar, unschuldig und scheinbar harmlos daherkommende Novelle bedeutet bei vertiefter Betrachtung die Schaffung einer, und dies ist zu betonen, verstoß- und missbrauchsunabhängigen Marktstrukturkontrolle, also die Einführung einer ganzen weiteren, nunmehr vierten kartellrechtlichen Säule, die kaum mit der überkommenen kartellrechtlichen Dogmatik vereinbar scheint. Wenn es bisher durchaus zu den grundrechtlich abgesicherten kartellrechtlichen Grundfesten gehörte, dass kartellrechtskonformes Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg Unternehmen nicht zum Nachteil gereichen kann, droht dies nun in das Gegenteil verkehrt zu werden: Wachstum und Erfolg drohen Anlass für intensive kartellbehördliche Eingriffe zu werden, die schon dann zulässig sein sollen, wenn eine „erhebliche Wettbewerbsstörung“, aber gerade kein Kartellrechtsverstoß vorliegt.
Diese Zweifel sind für die Vorteilsabschöpfung unbegründet, weil diese nach wie vor auf einem Kartellrechtsverstoß fußt. Hier fehlt es freilich an einer einleuchtenden Begründung der gesetzlichen Vorteilshöhenvermutung: Warum werden 1 % und nicht 2 %, 3 % oder gar 15 % vermutet? Auf Seiten der Novellenverfasser ist in diesem Zusammenhang auch eine schwer zu rechtfertigende Ungleichbehandlung des public gegenüber dem private enforcement auszumachen. Eine einleuchtende Begründung, warum eine Vermutung der Höhe eines Kartellschadensersatzanspruches ausscheidet, während bei einer kartellbehördlichen Vorteilsabschöpfung ausgerechnet 1 % veranschlagt wird, ist nicht ersichtlich, wenn man bedenkt, dass für den Kartellschaden die Differenzhypothese gilt, der Kartellschaden also den durch die Kartellanten erlangten Vorteil im Kern abbildet.
Festzuhalten bleibt, dass die gleichsam neue Energie bei der zeitgemäßen Gestaltung des Kartellrechts zweifelsohne löblich ist. Die vorbeschriebenen Zweifel mögen auch nicht völlig durchgreifender Natur, ja sogar unangebracht sein. Aus Sicht des Praktikers droht der Entwurf in seinem derzeitigen Stand jedoch den Eindruck der Einseitigkeit zu erwecken, dem unbedingt abgeholfen werden sollte.