Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat sich in einem Urteil vom 22.10.2015 mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Europäische Kommission ein Bußgeld auch gegen sog. Kartellvermittler verhängen darf, also gegen ein nicht direkt kartellbeteiligtes Unternehmen. Als Kartellvermittler können beispielsweise Beratungsunternehmen angesehen werden, die den Informationsaustausch organisieren, jedoch das betroffene Produkt gar nicht selbst herstellen.
In den dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Verfahren hatte die EU Kommission einer Reihe von Unternehmen zur Last gelegt, durch verschiedene Vereinbarungen betreffend das Gebiet des europäischen Wirtschaftsraums (EWR) gegen das Kartellverbot verstoßen zu haben. Dem in Zürich ansässigen Beratungsunternehmen AC-Treuhand, das verschiedene Dienstleistungen für nationale und internationale Verbände und Interessengemeinschaften anbietet, wurde vorgeworfen, sich in einem Zeitraum von über sieben Jahren an einer Reihe von Kartellvereinbarungen bezüglich zweier Spezialchemieprodukte beteiligt zu haben. Diese hätten die Festsetzung von Preisen, die Aufteilung des Marktes unter Zuweisung von Lieferquoten, die Aufteilung und Zuteilung von Kunden und den Austausch wirtschaftlich sensibler Informationen insbesondere über Kunden sowie Produktions- und Liefermengen beinhaltetet.
Nach Ansicht der Kommission hätte die AC-Treuhand bei diesen kartellrechtswidrigen Handlungen eine zentrale Rolle gespielt. Sie habe mehrere Zusammenkünfte organisiert, bei denen sie anwesend gewesen war und sich beteiligt habe, indem sie Liefermengen der betreffenden Güter erfasst und den betreffenden Hersteller zur Verfügung gestellt habe, indem sie angeboten habe bei Spannungen zwischen diesen Herstellern als Moderator aufzutreten und indem sie diese zu Kompromissen ermutigt habe, und zwar gegen Vergütung.
Der EuGH entschied nun gegen die AC-Treuhand. AC-Treuhand konnte nicht mit dem Argument durchdringen, dass nur diejenigen Unternehmen an einem Kartell beteiligt sein könnten, die als Anbieter oder Nachfrager der kartellierten Ware einen gewissen Bezug zu den kartellierten Märkten haben. AC-Treuhand sei nicht auf den kartellierten Märkten für Spezialchemieprodukte tätig und habe sich daher schon gar nicht an dem Kartell beteiligen können.
Die Luxemburger Richter führten ihre bisherige Entscheidungspraxis fort. Danach können auch andere Formen einer Beteiligung an einer Zuwiderhandlung die Komplizenschaft und damit eine bußgeldrechtliche Haftung begründen. In der Entscheidung stellte der EuGH fest, dass bereits die Teilnahme an Sitzungen als stillschweigende Billigung einer rechtswidrigen Initiative angesehen werden kann, wenn sich das betreffende Unternehmen nicht offen von deren Inhalt distanziert oder die Initiative bei den Behörden anzeigt, weil dies dazu führt, dass die Fortsetzung der Zuwiderhandlung begünstigt und ihre Entdeckung verhindert wird.
Der EuGH hob hervor, dass nach der Feststellung der Vorinstanz das Verhalten von AC-Treuhand unmittelbar Teil der Bemühungen der Chemieproduktehersteller war: Durch ihre Dienstleistungen hätte AC-Treuhand in voller Kenntnis der Sachlage die Kartelle sowohl in Bezug auf die Aushandlung als auch auf die Kontrolle der Umsetzung der von den Herstellern eingegangenen (Kartell-)Verpflichtungen unterstützt. Die entsprechenden Dienstleistungen hätten zur Verwirklichung der in Rede stehenden wettbewerbswidrigen Ziele gedient, insbesondere der Preisfestsetzung, der Aufteilung von Märkten und Kunden und dem Austausch wirtschaftlich sensibler Informationen. Es handele sich also um keine rein nebensächliche Dienstleistung, die nichts mit den von den Herstellern eingegangenen Verpflichtungen und den sich daraus ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen zu tun habe.
Die Entscheidung des EuGH ist als wichtiger Hinweis einzuordnen, wie weit die Anwendung des Kartellverbots ausgelegt wird. Dies wird gerade auch vor dem Hintergrund deutlich, dass der Generalstaatsanwalt – anders als schließlich die Urteilsbegründung – in seinem ursprünglichen Schlussantrag eine weite Auslegung des Kartellverbots und Erfassung von nicht auf dem kartellierten Markt tätigen Unternehmen aus rechtlichen Gründen abgelehnt hatte. Als Folge der EuGH-Entscheidung müssen gerade Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, die Verbandsaktivitäten und insbesondere – Treffen organisieren und veranstalten, überprüfen, ob es auf den von ihnen organisierten Veranstaltungen zu Kartellrechtsverstößen kommt. Dieses kann sogar für die Veranstaltung von Messen gelten, an denen Wettbewerber teilnehmen. Allerdings bleibt auch nach derzeitiger Rechtslage Voraussetzung für eine kartellrechtliche Haftung, dass der Kartellvermittler Kenntnis von dem Verstoß gegen das Kartellrecht hatte und der Organisation der jeweiligen Veranstaltung eine nicht unerhebliche Rolle bei der Umsetzung des Kartells zugemessen wird.