Mit Blick auf die gerade abgeschlossene Fußball-WM 2018 in Russland erläutert der S&J-Kartellrechtsexperte Dr. Christian H. Müller (CHM) im Interview, wie weit das Kartellrecht inzwischen auch im Sport Anwendung findet und welche Auswirkungen dies hat.
Man hört, die Verkaufspraxis der WM-Tickets durch den DFB sei möglicherweise kartellrechtswidrig. Warum findet das Kartellrecht überhaupt auf den Sport, Sportvereine und Sportler Anwendung?
CHM: In der Tat war lange umstritten, ob auch der Sportbereich vom Kartellrecht erfasst wird. Zum Teil wurde aufgrund der (vermeintlichen) Besonderheiten des Sports für eine kartellrechtliche Sonderbehandlung plädiert. Der Sport sei keine wirtschaftliche Branche wie jede andere. Auch der sportliche Wettkampf als Wettbewerb unterscheide sich maßgeblich von den übrigen Wettbewerbsaktivitäten im Wirtschaftsleben.
Mittlerweile hat jedoch der Europäische Gerichtshof (EuGH) ausdrücklich klargestellt, dass es keine Bereichsausnahme oder Sonderregelungen für den Sport und mit der Ausübung des Sports verbundene Aktivitäten gibt. Damit ist anerkannt, dass Sportclubs und auch Berufssportler bei wirtschaftlicher Betätigung regelmäßig Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne darstellen. Dementsprechend begründet ein Sportverband, in dem einzelne Sportclubs zusammengeschlossen sind, bei wirtschaftlicher Betätigung üblicherweise eine Unternehmensvereinigung.
Beginnend mit den Entscheidungen Meca-Medina/Kommission (2006) sowie MOTOE (2008) hat der EuGH die wesentlichen Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Kartellverbots und auch des Missbrauchsverbots festgehalten.
Was bedeutet die Anwendbarkeit des Kartellrechts für den Sport? Welche Regelungen sind denn besonders wichtig?
CHM: Wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinen Entscheidungen klarstellte, findet sowohl das Kartellverbot als auch das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf Sportsachverhalte Anwendung. Nach dem Kartellverbot sind Preisabsprachen und andere wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen grundsätzlich verboten. Das Kartellverbot findet außerdem auch auf Vereinbarung zwischen Unternehmen auf unterschiedlichen Marktstufen, also im Vertikalverhältnis, Anwendung. Gerade Preisvorgaben für eine nachgelagerte Marktstufe sind dabei besonders kritisch.
Das Missbrauchsverbot untersagt es marktbeherrschenden oder marktstarken Unternehmen, ihre Stellung missbräuchlich dazu ausnutzen, die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen zu behindern oder durch die Forderung von Konditionen, die nicht marktüblich sind, Unternehmen auf anderen Marktstufen auszubeuten.
Was bedeutet das konkret für die verschiedenen Teilnehmer des „Sportzirkus“?
CHM: Die Anwendung des Kartellrechts führt dazu, dass beispielsweise auch Regelwerke und Statuten von Sportverbänden am Kartellverbot zu messen sind. Abstimmungen beispielsweise zwischen verschiedenen Fußballclubs sind ebenfalls am Kartellverbot zu messen. Dies bedeutet natürlich nicht automatisch, dass ein Verstoß gegeben ist.
Ebenso können Sportverbände und einzelne Vereine – je nach Marktabgrenzung – als Marktbeherrscher zu qualifizieren sein. In der Folge haben sie beispielsweise bei der Ausgestaltung ihrer Konditionen und Vertragsbedingungen die Anforderungen des Missbrauchsverbots zu beachten.
Gibt es denn mittlerweile schon Kartellrechtsfälle im Sport?
CHM: Tatsächlich gibt es auf europäischer Ebene mittlerweile verschiedene Entscheidungen der Europäischen Kommission, die ihre Wege durch die Rechtsmittelinstanzen gemacht haben.
Aber auch auf deutscher Ebene ist der Sportbereich zunehmend ins Visier der Kartellbehörden geraten. So hat das Landeskartellamt NRW die Kopplung von Tickets des 1. FC Köln für das bevorstehende UEFA-Pokalrückspiel gegen Inter Mailand an den gleichzeitigen Kauf einer Karte für das Bundesligaspiel gegen den damaligen Tabellenletzten Eintracht Braunschweig untersucht. Schließlich untersagte sogar der BGH infolge des Kopplungsverbots diese Praxis. Ebenso hat das Bundeskartellamt bereits die Zentralvermarktung von Bundesligaspielen durch die DFL und die Europäische Kommission die Zentralvermarktung der UEFA Champions League kartellrechtlich untersucht.
Was ist in Hinblick auf Kartellrecht und Sport weiter zu beachten?
CHM: Im Hinblick auf das Kartellverbot ist zunächst zu fragen, ob die fragliche Verhaltensweise, beispielsweise der Beschluss eines Verbands, eine wettbewerbsbeschränkende Zielsetzung hat. Daran anschließend ist zu prüfen, ob die wettbewerbsbeschränkende Wirkung dieser Verhaltensweise zur Verfolgung des legitimen Ziels auch notwendig ist und ob diese Maßnahme verhältnismäßig ist.
So kann zum Beispiel der Schutz eines geschlossenen Spielsystems zum Zweck der Ermittlung des endgültigen, mit einem Titel ausgezeichneten Gewinners in einer bestimmten Sportart als legitimes Ziel angesehen werden. Danach soll die Verbandsregelung, die für die Verbandsmitglieder die Teilnahme an anderen Wettkämpfen ausschließt, grundsätzlich zulässig sein. Allerdings wäre im Hinblick auf die Angemessenheit darauf zu achten, dass beispielsweise Veranstaltungen Dritter auf objektiven, transparenten und diskriminierungsfreien Kriterien genehmigt werden sollten.
Welche aktuellen Beispiele gibt es für „Kartellrecht im Sport“?
CHM: Ein einfaches Beispiel ist das Verfahren der Europäischen Kommission gegen die Internationale Skating Union ISU. Dabei ging es darum, dass die beiden niederländischen Profi-Eisschnellläufer Tuitert und Kerstholt gegen die allgemeinen ISU-Zulassungsbestimmungen Beschwerde eingelegt hatten. Die Bestimmungen sahen harte Sanktionen – bis zu einer lebenslangen Sperre bei allen großen Eisschnelllauf-Veranstaltungen – für den Fall vor, dass Eisschnellläufer an Wettkämpfen teilnehmen, die von der ISU nicht genehmigt waren. Die Europäischen Kommission stellte Verstöße gegen das Kartellverbot fest, woraufhin die ISU schließlich die streitgegenständlichen Zulassungsbestimmungen änderte.
Um aber auf den Ausgangsfall zurückzukommen: Auch bei dem Verkauf der Tickets für die WM 2018 könnte der DFB seine marktbeherrschende Stellung möglicherweise missbräuchlich ausgenutzt haben. Unter der Annahme, dass alleine der DFB auf dem relevanten Markt die Fantickets verkauft und damit als Marktbeherrscher anzusehen wäre, erscheint es schwierig, sachlich zu rechtfertigen, weshalb der Erwerb von einfachen DFB-Fantickets und qualifikationsbedingten DFB-Fantickets nach den Regeln des DFB durch die Zwangskombination mit der kostenpflichtigen Fanclubmitgliedschaft bedingt ist. In diesem Fall könnte der DFB möglicherweise durch diese Zwangskopplung seine marktbeherrschende Stellung missbrauchen.
Das Interview führte die Redaktion der S&J-Mandanteninformation.