Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 18.01.2022 (C-261/20) über die Frage entschieden, ob die bis zum Inkrafttreten der angepassten HOAI am 01.01.2021 dort enthaltenen verbindlichen Mindestsätze bei Altverträgen trotz des Urteils des EuGH vom 04.07.2019 (C-377/17) weiterhin angewendet werden können oder nicht. In besagtem Urteil haben die EuGH-Richter schließlich vertreten, dass die Regelung der verbindlichen Mindestsätze in den Altfassungen der HOAI gegen Unionsrecht verstoßen würde.
Die europäischen Richter kommen zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht dem aber nicht entgegensteht. Ob dies gegebenenfalls aufgrund innerstaatlichen Rechts anders zu beurteilen ist, sei von den nationalen Gerichten und Behörden zu entscheiden.
In seinem aktuellen Urteil entscheidet der EuGH: Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, ist „nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, diese deutsche Regelung unangewendet zu lassen“. Vielmehr können deutsche Gerichte die Honorarordnung bei Streitigkeiten zwischen Privaten auch weiterhin anwenden, weil EU-Vorgaben keine unmittelbaren Wirkungen für Privatpersonen haben, sondern eine Anweisung an einen Staat sind.
Zwischen den deutschen Gerichten war zuvor ein Streit darüber entbrannt, ob die Mindestsatzregelung in der „alten“ HOAI bis zum Erlass der modifizierten Verordnung weiter anzuwenden ist – das befürwortete das Oberlandesgericht (OLG) Hamm (Urt. v. 23.07.2019, I-21 U 24/18) – oder eben nicht, wie vom OLG Celle (Urt. v. 14.08.2019, 14 U 198/18) vertreten. Der Bundesgerichtshof (BGH) sollte anhand der zwei Verfahren (VII ZR 174/19 und VII ZR 205/19) prüfen, welche Auswirkungen das EuGH-Urteil auf bestehende Planungsverträge hat, in denen zunächst ein Honorar unterhalb des Mindestsatzes vereinbart wurde und der Planer nachträglich den Mindestsatz verlangt hat (sogenannte Aufstockungsklagen).
Zugleich stellt der EuGH klar, dass diejenige Partei, der die Mindestsätze weiterhin entgegengehalten werden, unter Umständen Schadensersatz vom Staat verlangen könne.
Im Ergebnis ist jetzt der BGH wieder am Zuge: Er muss nun über die beiden von ihm ausgesetzten Verfahren unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH entscheiden. Dem BGH dürfte dies aber gelegen kommen, weil er auch schon zuvor zu der Rechtsansicht tendierte, die der EuGH nun seinem Urteil zugrunde legt.
Für die vielen zivilrechtlichen Verfahren, in denen es um so genannte Aufstockungsklagen von Architekten geht und die aufgrund der früheren EuGH-Entscheidung seit gut zwei Jahren ausgesetzt sind, dürfte daher gelten, dass jedenfalls der EuGH der Verbindlichkeit der Mindestsätze bei Vereinbarungen unter Privaten nicht entgegengetreten ist. Daher ist zu erwarten, dass jedenfalls das Argument der Unwirksamkeit verbindlicher Mindestsätze nicht gehört werden wird und damit solche Klagen durchaus wieder Aussicht auf Erfolg haben.