Die vor einigen Jahren in bestimmten Wirtschaftskreisen aufgekommene Idee, sich dem relativ strengen Haftungsregime des deutschen Gesellschafts- und Insolvenzrechtes dadurch zu entziehen, in dem die Geschäfte in dem rechtlichen Mantel von Gesellschaften ausländischer Rechtsform (besonders beliebt ist die englische Limited mit einem Kapital von 1,00 €) betrieben werden, wird sowohl durch das europäische Recht als auch durch die deutsche Rechtsprechung immer weniger attraktiv gemacht.
Hierzu folgender Fall, der im Rahmen eines Vorlagebeschlusses vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dann vom Bundesgerichtshof (BGH) vor kurzem entschieden wurde (EuGH, Urteil vom 10.12.2015, Rechtssache „Kornhaas“; BGH, Urteil vom 15.03.2016).
Das Amtsgericht Erfurt hatte über das Vermögen einer englischen Limited, die ihren satzungsmäßigen Sitz in England hatte und dort im Handelsregister eingetragen war, das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter hatte daraufhin die deutsche Geschäftsführerin auf Schadenersatz mit der Begründung in Anspruch genommen, sie habe entgegen den Bestimmungen des deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)-Rechtes (§ 64 Abs. 1 GmbHG) zu Zeiten, in denen die Gesellschaft bereits insolvenzreif war, Zahlungen an Gläubiger geleistet und dadurch die Masse geschmälert. – Auf den ersten Blick mutet es merkwürdig an, dass ein deutsches Amtsgericht über das Vermögen einer englischen Gesellschaft das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnen kann und der Insolvenzverwalter dann auch noch die deutsche Geschäftsführerin aufgrund der besonders strengen Bestimmungen des deutschen Gläubigerschutzes in Anspruch nehmen kann. Wie kann das begründet werden?
Hierzu waren eine europäische Gesetzesmaßnahme und eine Weiterentwicklung des Richterrechtes erforderlich. Zunächst ist die Zuständigkeit deutscher Insolvenzgerichte für ausländische Gesellschaften durch die EuropäischeInsolvenzverordnung(EuIns- VO) geschaffen worden. Gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO kann danach ein Insolvenzverfahren nicht nur in dem Mitgliedstaat eröffnet werden, in dem die Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz hat, sondern auch in dem Mitgliedstaat, in dem die Schuldnerin den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hat. Dies war in dem entschiedenen Fall für die englische Limited der Ort Erfurt.
Gleichzeitig wird in der Verordnung geregelt, dass das deutsche Insolvenzgericht dann auch deutsches Insolvenzrecht anwenden darf. Damit stellte sich noch die weitere Frage, ob damit lediglich das Insolvenzrecht im engeren Sinne (d. h. also im Wesentlichen die Bestimmungen der Insolvenzordnung) anwendbar sind oder auch deutsches Gesellschaftsrecht mit insolvenzrechtlichem Bezug. Um diese Frage zu klären, hatte der BGH die Sache dem EuGH vorgelegt. Der EuGH hat nun entschieden, dass jedenfalls die Vorschrift des § 64 GmbHG, nach der der Geschäftsführer einer deutschen GmbH nach Eintritt der Insolvenzreife persönlich für masseschmälernde Zahlungen der GmbH haftet, als eine insolvenzrechtliche Norm zu qualifizieren ist. Daraufhin hat der BGH dann die Haftung der Geschäftsführerin der englischen Gesellschaft nach deutschem GmbH-Recht bejaht.
Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Bedeutung: Zum einen bietet ein Ausweichen auf ausländische Gesellschaften immer weniger Schutz vor einer Anwendung des strengeren deutschen Rechts. Zum anderen – und dies ist ebenso wichtig, sollten Gläubiger, die Forderungen gegen eine ausländische Gesellschaft haben, nicht sogleich die Hoffnung aufgeben, wenn es zu Zahlungsstörungen auf Seiten solcher Gesellschaften kommt, die ihren geschäftlichen Mittelpunkt in Deutschland haben.