Durch die Geschäftsschließungen im Lockdown brachen die Umsätze im Einzelhandel vielfach weg. Mehrfach hatten wir in früheren Ausgaben der Triumph über die Rechtsprechung der Gerichte zu den Folgen der Pandemie auf die Verpflichtung der Mieter zur Mietzahlung berichtet, insbesondere zu den sehr divergierenden Entscheidungen. Der Bundesgerichtshof (BGH) befasst sich derzeit erstmals mit dieser Frage. Eine einfache Lösung wird es aber – von uns nicht anders erwartet – nicht geben.
Von Betriebsschließungen betroffene Mieter, die mit ihrem Vermieter über die Miete im Lockdown verhandeln oder gar streiten, dürften voraussichtlich nicht mehr mit einer pauschalen 50/50-Regelung rechnen. Viel eher müssen wohl sämtliche Fälle im Streitfall von den Gerichten einzeln genau geprüft werden. Dies zeichnete sich am 01.12.2021 in der Verhandlung vor dem BGH (XII ZR 8/21) über einen der beiden parallel laufenden Fälle (hier: Vorinstanz OLG Dresden) ab.
Aufgrund des Lockdowns kam es zu Schließungen von Einzelhandelsgeschäften, wodurch den Händlern der Umsatz unversehens vollständig wegbrach. Manche Vermieter passten die Mieten an, andere nicht. Der Gesetzgeber hatte im Dezember 2020 reagiert und klargestellt, dass die COVID-19-Pandemie einen Umstand darstelle, der zur Anwendung von § 313 BGB führen könne, wonach Vertragspartner verpflichtet sein können, vertragliche Regelungen an außergewöhnliche Umstände, die von beiden Seiten nicht vorhergesehen waren, anzupassen. Auf das Gewerbemietrecht bezogen könnte hieraus eine pandemiebedingte Mietanpassung geschlussfolgert werden, wenn gewerbliche Mieter aufgrund der die COVID-19-Pandemie schließen müssen oder ihr Geschäft nur mit starken Einschränkungen öffnen dürfen.
Viele Fälle landeten vor den Gerichten. Die Entscheidungen waren aber sehr uneinheitlich, sodass auf eine richtungsweisende Entscheidung des BGH gehofft wird.
BGH will keine pauschale 50/50-Lösung
In dem ersten BGH Fall geht es um eine Filiale des Textil Discounters Kik im Raum Chemnitz, die vom 19.03. bis zum 19.04.2020 schließen musste. Der Vermieter verlangt für den Zeitraum die Entrichtung der vollen Miete. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hatte entschieden, dass der Mieter nur ungefähr die Hälfte zahlen müsse.
Diese 50/50-Lösung ist dem BGH aber offensichtlich zu pauschal. Das Gericht meint, dass unter anderem mit zu berücksichtigen ist, ob der betroffene Geschäftsinhaber staatliche Hilfen oder Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung bekommen habe. „Das dürfte eine umfassende Prüfung aller Umstände des Einzelfalls voraussetzen“, sagte der Vorsitzende Richter am BGH Hans Joachim Dose. Sein Senat tendiere daher dazu, das Dresdner Urteil aufzuheben. Das OLG müsste sich den Fall dann noch einmal genauer anschauen.
Der Berichterstatter in diesem Verfahren, Richter am BGH Peter Günter, sieht beide, Mieter und Vermieter, in der Pandemie insoweit in einem Boot: „Es ist durchaus etwas, was beide betrifft, womit beide nicht gerechnet haben.“ Auch der Vermieter sei durch die Pandemie beeinträchtigt – so würde er im Lockdown wohl kaum einen neuen Mieter finden. Er plädierte dafür, immer den Einzelfall anzuschauen. Das Ergebnis „50/50“ wäre zwar einfach, werde der Wirklichkeit aber nicht gerecht, sagte er.
Insoweit ist die Grundtendenz des BGH erwartbar gewesen. Spannend wird sein, ob und wie der BGH die einzelnen Umstände des Einzelfalls bewertet, insbesondere ob er konkrete Vorgaben machen wird, welche Aspekte des Einzelfalls in die Prüfung mit einbezogen werden müssen. Klar hingegen dürfte aber jetzt auch sein, dass die bislang gegenläufigen Rechtsansichten von Gerichten, wonach die Pandemie-Risiken ausschließlich die Sphäre des Mieters beträfen, nicht Bestand haben werden.