Der BFH hat jüngst mit Urteil vom 23.07.2019 (IX R 28/18) entschieden, dass eine Grundstücksenteignung nicht als privates Veräußerungsgeschäft i. S. des § § 23 EStG einzustufen ist. Lässt eine Enteignung bei dem Betroffenen schon keine große Freude aufkommen, so hat der BFH nun der Qualifizierung einer im Rahmen eines Enteignungsverfahrens erhaltenen Entschädigung als Veräußerungsgewinn seitens der Finanzverwaltung eine Absage erteilt.
Was war genau geschehen?
Der Kläger hatte an einem unbebauten Grundstück im Jahr 2005 einen zusätzlichen Miteigentumsanteil durch Zuschlag in einer Zwangsversteigerung erworben. Er wurde hierdurch Alleineigentümer des Grundstücks. Im Jahr 2008 führte die Stadt, in der das Grundstück gelegen war, ein Bodensonderungsverfahren durch und erließ einen dieses Grundstück betreffenden und an den Kläger gerichteten Sonderungsbescheid nach dem Bodensonderungsgesetz, mit dem das Eigentum an dem Grundstück auf die Stadt überging. Der Kläger erhielt hierfür im Gegenzug eine Entschädigung im Umfang von 600.000 €.
Das Finanzamt erblickte hierin ein Veräußerungsgeschäft i. S. des § 23 EStG und setzte entsprechend dem Zufluss der Entschädigungszahlungen einen Veräußerungsgewinn fest. Die vom Kläger hiergegen gerichtete Klage hatte beim Finanzgericht Erfolg.
Der BFH hat diese Entscheidung des Finanzgerichts bestätigt.
Bekanntlich sind private Veräußerungsgeschäfte gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG etwa Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, soweit der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als 10 Jahre beträgt. Entscheidend sind hierbei jedoch die Begriffe „Anschaffung“ und „Veräußerung“, wie der BFH betont. Diese erfassten entgeltliche Erwerbs- und Übertragungsvorgänge, bei denen es wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhänge, ob sie zustande kämen.
So führt der BFH in ständiger Rechtsprechung aus, dass unter Anschaffung bzw. Veräußerung i. S. des § 23 EStG der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf eine andere Person zu verstehen sind (vgl. etwa BFH-Urteil v. 08.11.2017 – IX R 25/15).
Der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung des Wirtschaftsguts auf eine andere Person müssten hierbei wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen und daher Ausdruck einer wirtschaftlichen Betätigung sein. Dies hebt der BFH in seinem Urteil ausdrücklich hervor.
An einer solchen willentlichen Übertragung auf eine andere Person fehle es hingegen dann, wenn – wie im vorliegenden Fall der Enteignung – der Verlust des Eigentums am Grundstück ohne maßgeblichen Einfluss des Steuerpflichtigen stattfinde, dieser mithin ggf. auch gegen den Willen des Steuerpflichtigen erfolge.
Diese sich am Wortlaut der maßgeblichen Norm des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG orientierte Auslegung deckt sich mit dem historischen Willen des Gesetzgebers. Die streitgegenständliche Vorschrift in § 23 EStG geht auf die Vorgängerregelung in den §§ 41, 42 EStG i. d. F. v. 10.08.1925 zurück.
Im damaligen Gesetzgebungsverfahren war ausdrücklich thematisiert worden, dass bei Zwangsenteignungen eine Steuerpflicht nach § 42 EStG nicht in Frage kommt, diese mithin ausscheidet. Auf diese Argumentation rekurriert der BFH in seinem Urteil in Tz. 25.
Darüber hinaus führt der BFH jedoch auch systematische Erwägungen an.
Denn während im Bereich der steuerlichen Erfassung betrieblicher Einkünfte die Übertragung oder Belastung des Eigentums von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens aufgrund behördlichen oder gesetzlichen Zwangs zur Annahme einer Veräußerung und mithin zur steuerlichen Berücksichtigung als Betriebseinnahme führen kann, ist die Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte i. S. des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG dogmatisch vom Grundsatz beherrscht, dass es hier nicht zur Gewinnverwirklichung kommt. Vielmehr knüpft die Besteuerung hier allein daran an, dass das maßgebliche Wirtschaftsgut mit Willen des Steuerpflichtigen entgeltlich auf einen Dritten übertragen wird. Diese Voraussetzungen lagen im vorliegenden Fall nicht vor.
Bedeutung für die Praxis:
Die von der langjährigen Rechtsprechung getragene Auslegung der maßgeblichen Norm des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG erscheint im Hinblick auf die vorstehende Entscheidung auch aus systematischen Gesichtspunkten folgerichtig. Die Bejahung eines privaten Veräußerungsgeschäfts erfordert als zwingende Voraussetzung eine vom Willen des Steuerpflichtigen getragene Entscheidung, so dass die Annahme eines Veräußerungsgeschäfts i. S. des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG dem Steuerpflichtigen seitens der Finanzverwaltung nicht „aufgezwungen werden kann“.