Am 18.05.2021 hat der Bundesgerichtshof („BGH“) entschieden, dass die bis Februar 2016 von booking.com verwendete sogenannte „enge Bestpreisklausel“ nicht mit dem Kartellrecht vereinbar sei. Der Beschluss offenbart einen kartellrechtlichen Paradigmenwechsel und könnte auch zu einem ganz erheblichen Umbruch in der Hotelbranche führen.
Bestpreisklauseln
In der Sache betrifft die Entscheidung sogenannte Bestpreisklauseln, die booking.com in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete. Mit der sogenannten „engen Bestpreisklausel“ verpflichtete booking.com Hoteliers darauf, dem Portal die jeweils günstigsten Konditionen zur Verfügung zu stellen und nicht auf der eigenen Internetseite die Zimmer billiger anzubieten.
Im Kern versuchte booking.com sogenanntes „Trittbrettfahren“ in der Form zu verhindern, dass sich Gäste auf der Plattform über Hotelangebote informierten und sich dann durch niedrigere Preise oder bessere Vertragskonditionen zu den hoteleigenen Webseiten locken ließen, um dort direkt zu buchen. In diesen Fällen erhält booking.com keine Vermittlungsprovision.
Bürsten
Da große Unternehmen der Internetwirtschaft – mitunter auch grundlos – mit Kartellrechtsverstößen in Zusammenhang gebracht werden, lohnt es sich, den Blick von der Internetwirtschaft ab- und einem eher alltäglichen Beispiel zuzuwenden: Man stelle sich etwa einen Handelsvertreter für Bürsten vor, der Bürsten eines Bürstenherstellers als alleiniger Handelsvertreter in einem bestimmten Gebiet vertreibt.
Es liegt auf der Hand, dass der Bürstenvertreter und der Bürstenhersteller wechselseitige Interessenwahrnehmungspflichten haben. Der Handelsvertreter ist gehalten, nur die Bürsten des einen Herstellers zu vertreiben und dem Hersteller Kunden zuzuführen; der Hersteller darf die Provision seines Handelsvertreters nicht vereiteln. Es stellte sich ein rechtliches Störgefühl ein, wenn nun der Hersteller jenen vom Bürstenvertreter vermittelten Kontakten höchstselbst die Bürsten zu einem günstigeren Preis anbieten würde. Der Bürstenvertreter würde schlicht um seine Provision gebracht. Vor diesem Hintergrund ist es dem Bürstenvertreter gegenüber dem Bürstenhersteller völlig unbenommen, Letzterem ein „Trittbrettfahren“ vertraglich in Form eines Wettbewerbsverbotes zu untersagen; der Schutz des Bürstenvertreters ergibt sich ohnedies aus den §§ 86 ff. des Handelsgesetzbuches („HGB“).
Einheit der Rechtsordnung
Da unterschiedliche Regelungsbereiche ein und derselben Rechtsordnung hinsichtlich des jeweils gefundenen Ergebnisses nicht voneinander abweichen sollten, ist die vorstehende Überlegung in den vergangenen Jahrzehnten auch in das Kartellrecht übertragen worden: Was zivilrechtlich geboten ist, kann kartellrechtlich nicht verboten sein. Vor diesem Hintergrund war allgemein anerkannt, dass das Kartellverbot in jenen Fällen nicht anwendbar ist, in denen ein neutraler Hauptvertrag vorliegt und das darin enthaltene Wettbewerbsverbot – im Beispiel also das Verbot des Bürstenherstellers, jenen vom Bürstenvertreter geworbenen Kunden günstigere Preise anzubieten (und den Bürstenvertreter um dessen Provision zu bringen) – objektiv erforderlich ist. Als sogenannte Tatbestandsrestriktion oblag dabei dem Bundeskartellamt der Nachweis, dass es sich weder um einen neutralen Hauptvertrag noch um ein objektiv erforderliches Wettbewerbsverbot handelte.
Vorbehaltlich der noch zu veröffentlichenden Urteilsgründe kehrt der BGH diesen allgemein anerkannten Grundsätzen den Rücken und prüft statt einer Tatbestandsrestriktion eine sogenannte Einzelfreistellung. Eine solche Einzelfreistellung steht unter vier Voraussetzungen, die indes nicht durch die Kartellbehörden nachzuweisen sind, sondern – wegen des Grundsatzes der Selbstbeurteilung – durch die Beteiligten selbst. Dabei gilt es, die Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung und Förderung des technischen Fortschrittes („Effizienzgewinne“) und die Unerlässlichkeit der den beteiligten Unternehmen auferlegten Beschränkungen für die Verwirklichung des Zieles der besseren Warenerzeugung oder -verteilung bzw. Förderung des technischen Fortschrittes darzulegen. Dies ist jedoch kaum je möglich, weil es nicht um allgemeine Effizienzgewinne geht, sondern um die Unerlässlichkeit der ganz konkreten Klausel für diese Effizienzgewinne. In diesem Zusammenhang ist der Phantasie kaum je eine Grenze gesetzt; andere Monetarisierungsmöglichkeiten sind stets denkbar, so etwa feste Listungsgebühren oder eine Pay per Click-Vergütung. Schließlich gilt es für die Beteiligten nachzuweisen, dass der durch die Klausel erwirtschaftete Effizienzgewinn der Marktgegenseite zugutekommt und der Wettbewerb für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren nicht ausgeschaltet wird. Gelingt es den Beteiligten daher tatsächlich, die Unerlässlichkeit der konkreten Klausel überzeugend darzulegen, so dürften sie doch regelmäßig an vorgenanntem letzten Punkt scheitern: Die Ausschaltung des Wettbewerbs ist gerade der Sinn des Wettbewerbsverbotes – der Bürstenvertreter soll nicht um seine Provision gebracht werden.
Pyrrhussieg der Hoteliers?
Für die Hoteliers könnte die Entscheidung des BGH aus gleich mehreren Gründen ein Pyrrhussieg gewesen sein. Vergegenwärtigt man sich, dass – anders als etwa auf dem US-amerikanischen Markt – der deutsche Hotelmarkt sehr mittelständisch geprägt ist, dürfte jede Umstellung des Vergütungssystems von booking.com etwa auf eine feste Listungsgebühr oder eine Pay per Click-Vergütung kleine Hotels vor erhebliche finanzielle Herausforderungen stellen. Dies dürfte gerade kleine Hotelbetriebe umso unerfreulicher sein, weil gerade diese Hoteliers booking.com schlicht brauchen: Sucht ein potentieller Hotelgast ein Zimmer für einen bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Ort, so sind ihm die gerade kleinere Hotels, deren Verfügbarkeit und Preise üblicherweise nicht bekannt. Eine einfache Abfrage in gängigen Suchmaschinen dürfte die für den Gast wesentlichen Informationen oftmals gerade nicht zutage fördern.
Es wird deutlich, dass booking.com – ebenso wie der Bürstenvertreter – für die Hotels eine immens wichtige Leistung erbracht hat. Jenseits dieser zu vergütenden Leistung ist gerade mit Blick auf eine dem Vernehmen nach angestrengte Sammelklage der Hotels gegenüber booking.com überaus fraglich, worin der Schaden der Hotels mit Blick auf die Bestpreisklausel gelegen haben mag: Den Hotels war es untersagt, online einen günstigeren Preis anzubieten als auf booking.com. Hat also ein Hotel für die Zurverfügungstellung eines Zimmers Kosten in Höhe von EUR 50,00, bietet dieses Zimmer für EUR 100,00 auf booking.com an und muss dafür eine Provision in Höhe von EUR 20,00 zahlen, bleibt ein Erlös von EUR 30,00 übrig. Handelt es sich um einen besonders preissensitiven potentiellen Gast und studiert dieser die Webseite des Hotels, ergibt sich, dass das Hotel – wegen der Bestpreisklausel – Erlöse in Höhe von EUR 50,00 realisiert. Es spart ja die Provision an booking.com. Es zeigt sich damit auch, dass die Hotelbranche wohl keinen Anreiz hatte, gegen die Bestpreisklausel zu opponieren und, dass die Bestpreisklausel den Preiswettbewerb zwischen den Plattformen und den jeweiligen Vertriebswegen der Hotelbranche unausgesprochen und nützlich sowohl für booking.com als auch die Hotels beschränkte. Tatsächlich hat booking.com die Bestpreisklausel schon vor geraumer Zeit ausgesetzt – ein Preisverfall oder eine aktivere Preisgestaltung durch die Hotels war indes wohl kaum zu verzeichnen. Einen Nachteil erfuhren daher wohl eher die Gäste, denn diese zahlten womöglich insgesamt höhere Preise. Vor diesem Hintergrund scheint es nun angezeigt, mögliche Ansprüche der Gäste sowohl gegenüber booking.com als auch den jeweils gebuchten Hotels intensiv zu prüfen.
Zu Fragen des Kartellschadensersatzes aufgrund der engen Bestpreisklausel hat Herr Dr. Thiede dem Handelsblatt vom 01.06.2021 Rede und Antwort gestanden. Den (ggf. kostenpflichtigen) Beitrag finden Sie online unter https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/recht/bestpreisklauseln-booking-urteil-wer-jetzt-schadenersatz-bekommen-koennte/27242060.html
Zum internationalen Gerichtsstand möglicher Klagen im Zusammenhang mit booking.com als niederländisches Unternehmen hat Herr Dr. Thiede in der NZG – Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2021, S. 125 ff. ausgeführt.