Es war so schön – wenn man denn als Auftragnehmer richtig kalkuliert hatte. Kam es in einem VOB/B-Vertrag zu Mengenänderungen, erfolgte die Vergütungsanpassung, wenn eine Einigung über den neuen Einheitspreis nicht zustande kam, über die Kalkulationsfortschreibung anhand der in der Urkalkulation niedergeschriebenen Preise getreu dem Motto „guter Preis bleibt guter Preis – schlechter Preis bleibt schlechter Preis“. Das neue Bauvertragsrecht, dass auf Verträge, die nach dem 01.01.2018 geschlossen wurden, anzuwenden ist, brach bereits mit dieser Vorgehensweise. Der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 08.08.2019, VII ZR 34/18) setzt dies jetzt auch bei Altverträgen nach der VOB/B durch.
Was war der Anlass?
Im Mai 2013 beauftragte der beklagte Auftraggeber (AG) den Auftragnehmer (AN) unter Einbeziehung der VOB/B mit Abbrucharbeiten. Es kommt zu einer erheblichen Mengenmehrung bei einer mit nur einer Tonne ausgeschriebenen Entsorgungsposition (ein Schelm, wer Böses dabei denkt …). Tatsächlich werden nämlich 83,92 Tonnen ausgeführt. Der Einheitspreisvertrag sieht bei dieser Position einen Einheitspreis in Höhe von 462,40 Euro netto pro Tonne vor. Wegen der Mengenmehrung verlangt der AG die Vereinbarung eines neuen Preises und Auskunft über die tatsächlichen Kosten der Entsorgung. Diese liegen nach Auskunft des AN bei 91,57 Euro netto pro Tonne Fremdkosten für Nachunternehmer (NU) zuzüglich GU-Zuschlag von 20% sowie 40,00 Euro netto pro Tonne eigene Verladekosten. Der AG zahlt jedoch nur einen Einheitspreis in Höhe von 109,88 Euro netto für die gesamten 83,92 Tonnen. Es kommt zwischen den Parteien zu keiner Preiseinigung für die Mehrmengen. Der AN erhebt Klage, basierend auf einer Abrechnung mit dem vertraglich vereinbarten Einheitspreis von 462,50 Euro pro Tonne, welche in erster Instanz mit einer gerichtlichen Festsetzung des Einheitspreises für die Mehrmengen auf noch 149,88 Euro netto pro Tonne und in zweiter Instanz auf 150,40 Euro netto pro Tonne ((91,57 X 1,2) +40) endet. Der AN legt dagegen Revision mit dem Ziel, den alten Einheitspreis weitestgehend durchzusetzen, beim BGH ein.
Entscheidung
Die Revision wird zurückgewiesen. Der BGH führt aus, dass die Parteien bei Mehrmengen nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B auch nach dem Kooperationsgebot einen Anspruch auf Einwilligung in einen neuen Preis haben. Im Nichteinigungsfalle entscheidet dann das angerufene Gericht über den neuen Preis. Dies prüft, ob der in Ansatz gebrachte Preis gerechtfertigt ist. Der neue Preis ist wegen einer Regelungslücke im Vertrag im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach Maßgabe der tatsächlich erforderlichen Kosten zu bemessen. Entscheidend ist, was die Parteien nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten.
Nach Abwägung ergibt sich, dass bei der Bildung eines neuen Einheitspreises nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B unter Berücksichtigung der tatsächlich erforderlichen Kosten der über 10 v. H. hinausgehenden Leistungen zuzüglich angemessener Zuschläge, wie Baustellengemeinkosten, Allgemeine Geschäftskosten und Gewinn, ein bestmöglicher Ausgleich der wechselseitigen Interessen erfolgt. Es bedarf des Rückgriffs auf die vorkalkulatorische Preisfortschreibung nicht. Für die Bestimmung des neuen Preises unter Berücksichtigung der tatsächlich erforderlichen Preise gilt das Vertragspreisgefüge nicht mehr. Vielmehr kann der neue Einheitspreis selbständig und losgelöst von den Zielen der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung bestimmt werden. Die grundsätzlichen Überlegungen, der Möglichkeit der kreativen Kalkulation einen Riegel vorzuschieben, waren bereits Gegenstand der Überlegungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum neuen Bauvertragsrecht. Dort führten sie zu den Vorschriften in den §§ 650 b und 650 c ff BGB, die auch nur noch auf die erforderlichen Kosten abstellen. Diesen Gedanken setzte der BGH auch für das alte Recht um.