Zur Frage des Beweises des Zugangs einer einfachen E-Mail
Das Oberlandesgericht (OLG) Rostock hatte über ein nicht seltenes Problem in der Vertragspraxis zu entscheiden (B. v. 03.04.2024, 7 U 2/24). Es ging um folgenden Sachverhalt:
Nach einer telefonisch zwischen Kaufleuten geführten Verhandlung schickt der Unternehmer dem Kunden eine „einfache“ E-Mail, in der der Unternehmer das (vermeintliche) Verhandlungsergebnis zusammenfasst und einen Vertragsschluss bestätigt. Als der Unternehmer sich später gegenüber dem Kunden auf diesen Vertrag beruft und daraus Ansprüche geltend macht, wendet der Kunde ein, telefonisch sei kein Vertrag geschlossen worden. Sein Mitarbeiter, der das Telefonat mit dem Unternehmer geführt hat, könne sich daran nicht erinnern. Man habe nur eine Preisanfrage formuliert. Der Unternehmer beruft sich auf die Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben. Der Kunde bestreitet, von dem Unternehmer eine entsprechende E-Mail erhalten zu haben. Der Unternehmer erhebt Klage – ohne Erfolg.
Nach Beweislastgrundsätzen kann nicht vom Zugang des vermeintlichen Bestätigungsschreibens ausgegangen werden, so das OLG in der Begründung. Ohne Zugang des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ist nach Auffassung des OLG kein für den Anspruch erforderlicher Vertragsabschluss nachgewiesen. Die Beweislast für den Zugang liegt bei U, weil dieser sich auf den Zugang der E-Mail beruft und eine sogenannte empfangsbedürftige Willenserklärung erst im Zeitpunkt des Zugangs wirksam wird.
Dem Unternehmer kommt dabei die von ihm in Anspruch genommene Beweiserleichterung eines Anscheinsbeweises nicht zu Gute. Für die Annahme eines Anscheinsbeweises bezüglich des Zugangs einer abgesandten (einfachen, insbesondere ohne Empfangs- oder Lesebestätigung übermittelten) E-Mail besteht keine Grundlage. Es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass für den Zugang einer einfachen E-Mail allein aufgrund des feststehenden Absendens, auch in Verbindung mit dem feststehenden Nichterhalt einer Unzustellbarkeitsnachricht auf Seiten des Absenders, kein Anscheinsbeweis streitet (OLG Hamm, B. v. 10.08.2023, 26 W 13/23).
Der Zugang einer E-Mail ist jedenfalls unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen (noch) nicht in einem Maß typisch, dass die Bejahung einer Beweiserleichterung gerechtfertigt wäre. Soweit der Unternehmer zum Beweis des E-Mail-Zugangs bei dem Kunden auf eine Vorlage bzw. Offenlegung der gesamten elektronischen Posteingänge des Kunden im hier interessierenden Zeitraum verweist, wurde diesem Beweisantritt durch das OLG nicht nachgegangen. Nicht anders sieht es im Übrigen auch in der „analogen“ Welt aus, in der ein Zugangsnachweis in einem Zivilprozess unstreitig nicht dadurch geführt werden kann, dass die Briefkästen oder gar Wohn- und Geschäftsräume des vermeintlichen Empfängers umfassend auf den in Rede stehenden Brief „durchforstet“ werden und der Prozessgegner diese Maßnahme zu dulden bzw. an ihr gar aktiv mitzuwirken hätte. Dementsprechend kann auch in der „digitalen“ Welt aus Sicht des OLG der Beweis des Zugangs einer E-Mail nicht dadurch erbracht werden, dass der vermeintliche Adressat selbst seinen E-Mail-Account mit dem virtuellen Posteingangskorb und gegebenenfalls weiteren Ablageordnern („gelöschte Elemente“ o. ä.) zu Beweiszwecken gleichsam zur Verfügung stellen muss.
Bis auf weiteres und vorbehaltlich künftiger technischer Entwicklungen bleibt es also dabei, dass eine E-Mail-Versandbestätigung nur den Versand, aber nicht den Zugang beweist. Etwas anders ist die Rechtslage beim Fax-Sendeprotokoll. Zwar ist mit dessen Vorlage der Beweis des Zugangs nicht geführt. Der „Ok-Vermerk“ eines Sendeberichts stellt jedoch ein Indiz für den Fax-Zugang dar, sodass sich der Empfänger nicht auf ein bloßes Bestreiten des Zugangs beschränken kann (Bundesgerichtshof (BGH), Urt. v. 19.02.2014, IV ZR 163/13).