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Definitionen in Verträgen und der Einfluss angloamerikanischen Rechts

Zugegeben: Solche Definitionen, wie in der Überschrift, findet man in Verträgen selten. Doch es kommt immer wieder und immer häufiger vor, dass Vertragsentwürfe mit langen – nicht immer sinnvollen – Definitionskatalogen, definierenden Klammerzusätzen versehen werden oder im Text an zahllosen (gezählt wird freilich auch gerne) Stellen auftaucht: „nachfolgend als … bezeichnet“. Zuweilen bekommt der Notar nach Prüfung durch den Anwalt einer Vertragspartei den eigenen Vertragsentwurf auch zurück mit roten Korrekturen in Form einer Vielzahl solcher Definitionen, Vereinheitlichungen und beschreibenden „Bandsätzen“. Nicht wenige Vertragsbeteiligte meinen dann, diese Ausgestaltung des Vertrages sei die einzig richtige und da habe aber jetzt jemand mal gezeigt, wie man es „richtig macht“.

Sicher können Definitionen das Verständnis erleichtern, wenn z. B. ein wiederkehrender, komplexer Sachverhalt auf diese Weise zusammengefasst wird. Auch dass klargestellt wird, dass beteiligte Personen im folgenden Text mit einer bestimmten Rolle, z. B. als „Verkäufer“ und „Käufer“ bezeichnet werden, ist sicher nicht ganz sinnlos. Aber auch solche Definitionen bräuchten wir in unserer Rechtsordnung an sich nicht. Und wir kämen auch klar, wenn dann doch derjenige, der verkauft, auch mal Veräußerer, Eigentümer und der andere Vertragsteil Erwerber o. ä. genannt wird oder das „Kaufobjekt“ als „Kaufgegenstand“ oder „Vertragsobjekt“ oder ähnlich bezeichnet wird.

Anders sieht das dagegen im angloamerikanischen Rechtsraum aus. Und weil viele englische und amerikanische (Groß-)Kanzleien in Deutschland ansässig sind, sich häufig junge Juristinnen und Juristen mit einem LL.M.‑Abschluss an einer Universität in den USA oder in Großbritannien zieren, nun einmal für weite Teile der Weltbevölkerung das Common Law gilt und die englische Sprache die Handelsverträge bestimmt, werden Verträge für die Anwendung in Deutschland ebenfalls mit Definitionen gespickt und die Texte immer länger.

Der Grund dafür liegt in tiefgreifenden Unterschieden zivilrechtlicher und -prozessualer Systematiken und Rechtstraditionen.

Ausgangspunkt ist, dass es im Vertragsrecht des Common Law grundsätzlich eine kodifizierte Grundlage, also ein Gesetz, nicht gibt (bzw. gab). Rechtliche Vorgaben sind also in der Regel nicht einem Gesetz zu entnehmen, sondern werden aus Präjudizien, also Richterrecht, abgeleitet. Wenn man nicht ins Gesetz schauen kann, um festzustellen, was grundsätzlich gilt, was man also Abweichendes vereinbaren kann und/oder sollte und nicht anhand eines Gesetzes beurteilen kann, worauf die Vertragsparteien zurückfallen, wenn nichts im Vertrag steht, spricht das dafür, möglichst viel möglichst genau in den Vertrag zu schreiben.

Zwingend ist das freilich nicht. Denn auch Präjudizien verdichten sich zu einer Rechtsmaterie, die für zukünftige Vertragswerke verbindliche Regeln bildet. Man schaut halt nicht ins Gesetz, sondern auf das gewachsene Richterrecht. Auch danach könnte man beurteilen, was gilt, wenn nichts vereinbart ist, was man nicht vereinbaren kann, wie Vereinbarungen zu verstehen sind, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, welches Ziel die Beteiligten mit den Vereinbarungen verfolgten etc.

Doch diesen Weg versperrt das angloamerikanische Recht, insbesondere das Beweisrecht. Danach ist vielmehr der Vertrag als ein eigenständiger „body of law“ zu verstehen, der alle Rechtsvorgänge selbstständig regeln muss. Was außerhalb des Vertrages liegt, spielt grundsätzlich keine Rolle. Dementsprechend ist nach der „parol evidence rule“ der Richter sehr eng an den Wortlaut der Vereinbarungen gebunden. Diese strengen Beweisregeln beruhen auf dem ursprünglichen dortigen prozessualen Konzept, dass Geschworene, also Laien, als Richter urteilen. Sie sollen sich auf das beschränken können, was ihnen vorgelegt wird und nicht vor die Frage gestellt werden, was möglicherweise (in Abweichung vom Text oder bei Vertragslücken) gewollt war, dazu andere Dokumente auswerten, Zeugen vernehmen etc. Deshalb streiten im angloamerikanischen Rechtsraum häufig eigens auf „Litigation“ spezialisierte „Prozessanwälte“ vor Allem darüber, was Prozessstoff ist.

Dem deutschen Zivilrecht und den meisten anderen europäischen Rechtsordnungen ist das alles fremd. Ganz am Anfang der ziviljuristischen Ausbildung wird vielmehr jedem Studenten vermittelt: Wir haben einen Kodex und den wir legen (anhand der „canones“) aus. Die allgemeine Auslegungslehre (Hermeneutik) als grundlegende Methodik der Geisteswissenschaften gilt nach dem Grundkonzept des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nämlich auch für das Recht. Das bedeutet für das Vertragsrecht, dass wir eben nicht am „nackten“ Wortlaut „kleben“. §§ 133, 157 BGB verlangen vielmehr die Interpretation von Willenserklärungen und Verträgen in Richtung auf das nach dem Empfängerhorizont „eigentlich Gewollte“. Die (zuletzt von Larenz systematisierten und von den Gerichten übernommenen) komplex ausgebildeten Auslegungsregeln sind daher – wie selbstverständlich das Gesetz – gleichsam das elementare „Bordwerkzeug“ des hiesigen Ziviljuristen. 

Sicher:  Klare und eindeutige Formulierungen sind sehr wichtig bei der Erstellung und Bearbeitung von Verträgen. Dabei können auch Definitionen hilfreich sein. Und die deutsche und europäische Rechtssetzung und Rechtsanwendung geht – auch unter dem Eindruck des starken angloamerikanischen Rechtseinflusses – mit Definitionskatalogen in Gesetzen und unter dem Gesichtspunkt des „Transparenzgebotes“ in eine entsprechende Richtung.

Auf dem Boden von Gesetz und – damit verbunden – Auslegung müssen wir aber nicht „jedes Wort“ umdrehen und auch nicht Offensichtliches oder mit zwangloser, naheliegender Auslegung zu Klärendes, in Definitionen pressen. Dass solche Bemühungen die Lesbarkeit erschweren und auch „nach hinten losgehen“ können, liegt auf der Hand. Nicht nur, dass es nicht ganz leicht und sehr aufwendig ist, das „gesamte“ Gesetz durch einen Vertrag zu ersetzen und „alles“ durch Dokumente zu belegen. Auch die Anwendung der Methode hat ihre Tücken. Das ist evident, wenn der Definitionenapparat nicht „durchgezogen“ wird, definierte Termini gar nicht auftauchen, eigentlich Definiertes doch abweichend formuliert wird oder die Definition nicht taugt, um alles unter sie zu fassen, was sich der Verwender vorgestellt hat. Und diese Methodik treibt zuweilen Blüten. Das fängt damit an, dass Selbstverständlichkeiten (etwas, was sich von selbst versteht, was als selbstverständlich angesehen, erwartet, vorausgesetzt wird) definiert werden und hört damit auf, dass die Definition verwendet wird, wenn es nur um Teile der unter sie gefassten Sachverhalte geht. So war beispielsweise in einem Vertrag über den Kauf einer größeren Tierarztpraxis durch einen internationalen Finanzinvestor die „Kaufpreisfälligkeit für die zweite Rate“ mit all ihren Voraussetzungen (z. B. Lastenfreistellung und Vorkaufsrechtsverzichte für die Übertragung von Immobilien, Übergabe von Bilanzen, Dokumenten usw.) zu einem terminus technicus erhoben worden. Die Definition wurde aber auch nach dem Prinzip eingesetzt: Wenn diese Rate fällig ist, dann sind ja auch diese bestimmten Fälligkeitsvoraussetzungen eingetreten, also schreiben wir „einfach“, wenn wir auch auf nur eine oder mehrere dieser Voraussetzungen abstellen wollen, „Kaufpreisfälligkeit für die zweite Rate“. Der Vertrag war damit fast unlesbar. Grundlegende Maximen der Rechtsklarheit und Einfachheit, sodass die Verträge auch von „Nicht-Juristen“ (und auch noch nach vielen Jahren) verstanden werden können, waren völlig aus dem Blick geraten. Schließlich brach das System dadurch zusammen, dass eine Fälligkeitsvoraussetzung, nämlich dass ein Nachfolger als Geschäftsführer (und Tierarzt) für das verkaufte Unternehmen gefunden war, aufgrund von Verhandlungen nicht mehr Fälligkeitsvoraussetzung war: Die Parteien hatten zwar daraufhin die Voraussetzungen für die „Kaufpreisfälligkeit für die zweite Rate“ geändert, die notwendigen Folgeänderungen jedoch nicht sinnvoll vorgenommen. Der Vertrag verlangte an vielen Stellen letztlich doch noch, dass ein Nachfolger gefunden war.

Trotz solcher Nachteile hat sich vor Allem im Gesellschaftsrecht und dort bei den Unternehmenskaufverträgen (unterschieden nach „Asset-“ oder „Share“-Deal) die vom angloamerikanischen Recht geprägte Methodik und Sprache durchgesetzt. Wie ebenfalls der deutschen Rechtstradition fremde Modelle von „signing“ und „closing“ (der – nach dem Common Law wichtigen – Protokollierung des Eintritts von Bedingungen), ausführlichst formulierten „warranties“, also Garantien, die ein eigenständiges Haftungssystem unter Ausschluss gesetzlicher Regeln und diesbezüglicher Rechtsprechung begründen oder auch nur das Voranstellen des Euro-Zeichens vor den Betrag, entsprechen auch lange Vertragstexte (inzwischen auch Gesetze) voller Definitionen und die Verwendung englischer (Rechts-)Begriffe dem derzeitigen Zeitgeist und sind unter Juristen, die „M&A“ machen, allein „state of the art“. Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Gemeinschaft hat daran bisher nichts geändert. Vielmehr dominieren die aus diesem Rechtskreis stammende Systematik und Terminologie auch rein „innerdeutsche“ Unternehmenskaufverträge. „Alles“ muss in diesem Vertrag stehen. Das hat zweifellos auch seine Vorteile und offenbar kommen die Beteiligten damit gut zurecht.

Grundstückskaufverträge sind dagegen nicht in derselben Weise von diesem Einfluss betroffen, auch wenn den Notar hin und wieder die eingangs erwähnten „korrigierten“ Entwürfe erreichen. Man mag die vom angloamerikanischen Recht geprägte Methode mit ihrer Konzentration auf einen „body of law“ für gut oder schlecht halten: Einen Vertragstext mit Definitionen und recht umständlichen Beschreibungen zu versehen und ihn möglichst vom Gesetz abzulösen, macht ihn jedenfalls nicht ohne Weiteres „richtiger“.