Käufer von ausländischen Finanzmarktprodukten, die an Wert verloren haben, sind in aller Regel daran interessiert, die Emittenten dieser Produkte vor heimischen Gerichten in Haftung zu nehmen. Eine klare Linie des für die Auslegung der einschlägigen Regeln zuständigen Europäischen Gerichtshofs (EuGH) lässt sich dabei kaum erkennen.
Ausländische Finanzanlageprodukte werden auch durch heimische Anleger erworben. Erweisen sich diese Produkte als Fehlanlage gilt es, die Fragen nach dem auf die Verletzung anwendbaren Recht und des für die Beurteilung zuständigen nationalen Gerichts zu beantworten. Letzteres erweist sich dabei als ungemein schwierig, weil es sich bei Anlegerschäden um schwer lokalisierbare, reine Vermögensschäden handelt, der Gesetzgeber bei der Schaffung der einschlägigen Verordnung jedoch physisch, gleichsam manifestierte und damit lokalisierbare Schäden vor Augen hatte. Als in der Sache wenig förderlich erwies sich dabei, dass der mit der aufgeworfenen Frage schon in der Vergangenheit befasste EuGH ebenfalls keine generelle Lösung des Problems, sondern nur eine ganze Bandbreite recht spezifischer Einzelfallentscheidungen beisteuerte.
Die internationale Zuständigkeit europäischer Gerichte richtet sich nach der Brüssel Ia-Verordnung (Brüssel Ia-VO). Diese Verordnung sieht im Zusammenhang von Anlageschäden keine spezifischen Regelungen vor; es sind die allgemeinen Vorschriften heranzuziehen. Danach ist bei juristischen Personen grundsätzlich das Gericht am allgemeinen Gerichtsstand der beklagten Gesellschaft an deren Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung für gegen sie gerichtete Klagen international zuständig.
Neben diesem allgemeinen Gerichtsstand sieht die Brüssel Ia-VO sogenannte Wahlgerichtsstände vor, die zum internationalen Beklagtengerichtsstand hinzutreten. Sofern etwa ein Emittent eines Zertifikats aus Prospekthaftung oder wegen Verletzung sonstiger ihm obliegender Informationen in Anspruch genommen wird, handelt es sich um eine außervertragliche, deliktische Haftung. Für solche Ansprüche sieht die Brüssel Ia-VO einen Wahlgerichtsstand an dem Ort vor, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“. Schon der Wortlaut dieser Norm ist problematisch, weil kein eindeutiger Anknüpfungspunkt formuliert wird. Denn mit der Wendung kann einerseits der Ort gemeint sein, an dem das schädigende Ereignis veranlasst worden ist (Handlungsort); in diesem Fall bildet die deliktische Handlung in einem vom Sitzstaat abweichenden Mitgliedstaat den Anknüpfungspunkt. Andererseits kann auch der Ort gemeint sein, an dem die Schädigung eingetreten ist (Erfolgsort); bei diesem Verständnis ist an die erlittene Rechtsgutsverletzung bzw. den erlittenen Schaden anzuknüpfen. Gerade die Bestimmung dieses Erfolgsortes im Sinne eines „Schadensortes“ führt zu erheblichen Problemen: Nach der üblichen Formel des EuGH handelt es sich dabei um denjenigen Ort, an dem schädigende Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zulasten des Geschädigten eintreten. Diese Formel mag bei körperlich manifestierten Schädigungen überzeugen, wie sie etwa bei Verletzungen bestimmter absoluter Rechtsgüter eintreten; deren Taterfolg tritt an einem geografischen („Belegenheits“)Ort ein. Dies gilt jedoch nicht für Anlegerschäden. Denn als bloße Vermögensschäden ohne Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts, die sich primär in Buchungsvorgängen bzw. Forderungsverlusten realisieren, fehlt eine natürliche Nähebeziehung zu einem körperlichen Ort.
Es bedurfte daher einer Konkretisierung des Erfolgsortes bei Anlegerschäden. Naheliegend schien zunächst die Annahme, dass der Schaden, der im Rahmen einer im Ausland durchgeführten Geldanlage auftritt, mit einer Minderung des Vermögens des Anlegers in seinem Heimatstaat korrespondiere und demgemäß die Gerichte am Wohnsitz des Anlegers als Ort der „Vermögenszentrale“ international zuständig sein sollten.
Der EuGH verneinte jedoch in der Sache Kronhofer (Urt. v. 10.06.2004, C-168/02) die Zuständigkeit am Heimatgericht des geschädigten Anlegers als Ort der „Vermögenszentrale“ und verwies darauf, dass der Erfolgsort nicht schon deshalb am Klägerwohnsitz liege, weil dem Anleger (auch) dort durch einen Verlust in einem anderen Mitgliedstaat mittelbar ein finanzieller Schaden entstanden sei. Eine solche Anknüpfung, so der EuGH, hinge von allzu ungewissen Umständen, namentlich dem Ort des Mittelpunkts des Vermögens des Geschädigten ab. Ein Beklagter könne kaum feststellen, wo der Vermögensschwerpunkt und damit das Gericht am Erfolgsort sei.
In der Entscheidung Kolassa (Urt. v. 18.01.2015, C-375/13) verneinte der EuGH einen Erfolgsort am Klägerwohnsitz als Vermögensmittelpunkt, schien jedoch bei nur oberflächlicher Betrachtung einen Erfolgsort am Wohnsitz des Geschädigten anzunehmen, „wenn sich der besagte Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto des Klägers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte [scil. am Klägerwohnsitz] verwirklicht.“ Die Betonung des Klägerkontos als Ort des unmittelbaren Schadenseintritts droht jedoch zu verdecken, dass die Entscheidungsgründe deutlich auf die dem beklagten Bankinstitut bekannte Notifizierung des Prospektes am Ort des Bankkontos des Klägers abhoben. Es war also weniger der Kontoführungsort, sondern vielmehr der Verbreitungsort eines Prospektes entscheidungserheblich.
Versteht man die Entscheidung in Kolassa wie hier, erhellt sich auch die Folgeentscheidung in der Rechtssache Universal Music (Urt. v. 16.06.2016, C-12/15). Dort führte der EuGH aus, dass „sich ein reiner Vermögensschaden, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht, für sich genommen nicht als ‚relevanter Anknüpfungspunkt‘ qualifizieren lässt“. Besteht der Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust am Bankkonto, sei an den Kontoführungsort allenfalls dann anzuknüpfen, wenn weitere Zurechnungskriterien bestehen.
In der Sache Löber (Urt. v. 12.09.2018, C-304/17) erhoffte sich die Praxis daher eine Präzisierung der vorbenannten „weiteren Zurechnungskriterien“. Diese Hoffnung wurde enttäuscht: Es bedürfe, so der EuGH, einer Abwägung, in die einzustellen sei, wo sich der Wohnsitz des Klägers befinde, dass alle Zahlungen und die Durchführung der gescheiterten Finanzanlage von dortigen Bankkonten (persönliches Bankkonto und Verrechnungskonto) erfolgt seien, und dass es der Kläger allein mit Banken an seinem Wohnsitz zu tun gehabt habe und die Geldanlage aufgrund eines dort notifizierten Prospektes erworben worden sei. Demgemäß, so der EuGH, sei der Kläger die sein Vermögen belastende Verpflichtung, die Anlage auf Grundlage dieser Angabe zu tätigen, an diesem Ort eingegangen – und die dortigen Gerichte zuständig.
Damit schien es so, dass der EuGH gerade den Empfangsort der anlegerschädlichen Information als weiteres Zurechnungskriterium entscheidungserheblich berücksichtigen wollen würde.
Doch nach der jüngsten Entscheidung in Vereniging van Effectenbezitters (Urt. v. 12.05.2021, C-709/19) ist auch dies unzutreffend. Bekanntlich ereignete sich auf der von BP gepachteten Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko eine Explosion, die Todesopfer und Verletzte forderte und die Umwelt erheblich schädigte. Eine Anlegerschutzorganisation erhob in den Niederlanden eine Sammelklage gegen BP im Namen aller Personen, die zwischen Januar 2007 und Juni 2010 über ein Anlagekonto in den Niederlanden Aktien von BP gekauft, gehalten oder verkauft hatten und verwies zur Begründung des Anlegerschadens – etwas vereinfacht – darauf, dass BP diese Anleger über die Schäden in Folge der Explosion der Deepwater Horizon unzutreffend informiert habe. BP bestritt die internationale Zuständigkeit, sodass das Berufungsgericht das Verfahren aussetzte und an den EuGH die Frage richtete, ob sich der Gerichtsstand am Erfolgsort aus dem Zusammenspiel zwischen Falschinformation (in den Niederlanden) und Ort des Anlagekontos (in den Niederlanden) für niederländische Gerichtszuständigkeit biete. Der EuGH vermochte dem nichts abzugewinnen und verneinte eine solche Zuständigkeit. Eine vertiefte Begründung für diese Ablehnung erfolgte nicht.
Die Praxis des EuGH zur internationalen Zuständigkeit bleibt sohin unübersichtlich. Klar ist, dass der Klägerwohnsitz als solcher keinen Anknüpfungspunkt bietet und es in der Sache auch nicht auf den Ort des (anleger-)kontoführenden Kreditinstitutes ankommt, sondern weitere zuständigkeitsbegründende Merkmale hinzutreten müssen. Etabliert scheint dabei zwar die Notifizierung und Ausgabe eines Prospektes sein. Allerdings scheint die tiefere Begründung, namentlich die Kundgabe einer fehlerhaften Information durch den Prospekt gerade nicht zu genügen.
Aus praktischer Sicht ist es dabei bedauerlich, dass der EuGH in keinem der vorbeschriebenen Urteile ein Konzept auch nur andeutet oder eine Idee zur sachgerechten internationalen Zuständigkeit bei internationalen Anlegerschäden entwickelt. Die sich ergebenden Probleme werden stets nur verschoben, aber nicht gelöst. Das höchste europäische Gericht fertigt bedenkliche Einzelfallurteile und gerät so von einer Kalamität in die nächste. Rechts- und Orientierungssicherheit sind dabei weitgehend verloren gegangen.