In den vergangenen Jahren hat sich die Rechtsprechung auf allen Ebenen immer wieder mit der Frage beschäftigt, wie konkret in Prospekten auf die mit der Anlage verbundenen Risiken hingewiesen werden muss. Dabei variierten die Anforderungen teilweise in Abhängigkeit von der jeweils zugrunde liegenden Rechtsnorm. Insgesamt bildete sich jedoch der Grundsatz heraus, dass ein Verkaufsprospekt alle wesentlichen und tatsächlichen Angaben enthalten muss, die notwendig sind, um dem verständlichen Leser eine zutreffende Beurteilung der Risiken der Vermögensanlagen und der Vermögensanlage selbst zu ermöglichen.
Im Gesetz variieren die entsprechenden Formulierungen je nach der entsprechenden Bestimmung. Nach § 7 Abs. 3 Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über Vermögensanlagen-Verkaufsprospekte (VermVerkProspV) muss der Prospekt über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Beurteilung der angebotenen Vermögensanlagen notwendig sind, Auskunft geben und richtig und vollständig sein. Dazu gehört eine Aufklärung über Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können und über solche Umstände, wo es noch nicht feststeht, die es aber wahrscheinlich machen, dass sie den vom Anleger verfolgten Zweck gefährden. Für die Frage, ob ein Prospekt nach diesen Grundsätzen unrichtig oder unvollständig ist, kommt es nicht allein auf die darin wiedergegebenen Einzeltatsachen an, sondern im Wesentlichen auch darauf, welches Gesamtbild der Prospekt dem Anleger von den Verhältnissen sodann vermittelt. Hierbei sind solche Angaben wesentlich, die einen Anleger „eher als nicht“ bei seiner Anlageentscheidung beeinträchtigen würde (ständige Rechtsprechung, z. B. Bundesgerichtshof (BGH), B. v. 26.07.2022, XI ZB 23/20).
Der Leser dieser zunächst weise klingenden Worte stellt sich die Frage, ob damit wirklich eine praktisch handhabbare und weiterführende Richtschnur und Hilfestellung gegeben worden ist. Die teilweise bestehenden Bedenken, was das denn nun genau bedeute, werden durch Urteile bestärkt, die doch immer wieder mal überraschend wirken. So entspricht es beispielsweise ständiger Rechtsprechung, dass auf ein bestehendes „Totalverlustrisiko“ hinreichend deutlich hingewiesen werden muss. Gleichwohl hat der BGH (B. v. 20.02.2024, XI ZB 33/21) nun entschieden, dass auf ein Totalverlustrisiko nicht ausdrücklich hingewiesen werden muss, wenn sich aus der Gesamtaussage und damit nicht zwingend aus konkreten Einzelangaben ein bestehendes Totalverlustrisiko ergibt – also letztlich soll es reichen, wenn ein solches Totalverlustrisiko „zwischen den Zeilen“ erkennbar wird.
In dem dortigen Fall ging es um Verkaufsprospekte, die eine Anlage über in Osteuropa anzubauende und in Zukunft einmal zu erntende Zierhölzer betrafen. In dem Prospekt wurde das Wort Totalverlust nicht verwendet, sondern darauf verwiesen, dass das größte anzunehmende Risiko in der Nichterfüllung des Vertrages und damit der Nichtauszahlung von Verkaufserlösen liege und dafür als Sicherheit ein Pfandrecht als dingliche Sicherheit nach bulgarischem Recht bestehe.
Entgegen der Auffassung des vorinstanzlichen Kammergerichtes meinte der BGH nun, dass die Verkaufsprospekte dadurch einen ausreichenden Hinweis auf das Totalverlustrisiko enthielten. Es sei darüber aufgeklärt worden, dass in der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtung der größte anzunehmende Unfall liege. Daraus ergäbe sich dann, dass in diesem Fall das vertraglich bestimmte Edelholz nicht geliefert und nicht für den Anleger verkauft werde. Aus den Prospektunterlagen sei auch ersichtlich, dass der Anleger allein aus dem Verkauf oder die Lieferung des Edelholzes Rückflüsse erwarten könne. Damit werde dem Anleger „deutlich vor Augen geführt“, dass er einen Totalverlust erleiden kann.
Der Anleger muss also einen Prospekt vollständig von der ersten bis zur letzten Seite – und vor allem sorgfältig – lesen und sich darüber hinaus die Frage stellen, ob auch „zwischen den Zeilen“ vielleicht ein Hinweis auf ein Totalverlustrisiko verborgen bzw. nicht sofort erkennbar ist. Dies erscheint gleichwohl fragwürdig, weil allein durch den Hinweis auf die fehlende Vertragserfüllung und ausbleibende Auszahlungen hier ja noch nicht offengelegt worden war, dass auch das investierte Kapital verloren gehen könne. Denn nur dann lässt sich ein Totalverlust annehmen.
Unabhängig davon scheinen sich jedoch die Anforderungen an die Risikohinweise in Prospekten durch dieses Urteil weiter zu relativieren. Dies gilt umso mehr, als dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH Maßstab dafür der sogenannte verständige Leser ist, der den gesamten Prospekt von Anfang bis zum Ende durchliest und in seiner Gesamtheit erfasst. Insgesamt kann somit festgestellt werden, dass die formelhaften und sehr abstrakten Anforderungen der Rechtsprechung an die Richtigkeit und Vollständigkeit von Verkaufsprospekten es nach wie vor erfordert, dass diese Vorgabe durch Praxisbeispiele weiter konkretisiert werden. Ansonsten bleibt der Prospektleser gehalten, im Zweifel mehrfach die doch sehr umfangreichen Prospekte durchzulesen und vor allem auch unter vielleicht neutral klingenden Überschriften aktiv nach Risikohinweisen zwischen den Zeilen zu suchen, um vor späteren Überraschungen gewappnet zu sein.