Dortmund, März 2018. Das neue Bauvertragsrecht ist nun seit einigen Wochen in Kraft. Doch viele Bauunternehmer, Handwerker, Architekten, Ingenieure sowie Bauherren fragen sich immer noch, welche konkreten Auswirkungen die neuen Spielregeln auf ihre tägliche Arbeit und die Umsetzung von Baumaßnahmen haben werden. Auf Einladung der Dortmunder Wirtschaftskanzlei SPIEKER & JAEGER gewährte Prof. Stefan Leupertz bei der IHK zu Dortmund umfassende Einblicke in das aktuelle Regelwerk. Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof war als Präsident des Deutschen Baugerichtstages und Mitglied zahlreicher Arbeitsgruppen maßgeblich am Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Somit erfreuten sich die mehr als 140 Vortragsteilnehmer im gut gefüllten großen Saal des Gastgebers am Fachwissen eines ausgesprochenen Kenners der Materie.
Von welch einschneidender Bedeutung die Implementierung eines eigenständigen Bauvertrags- sowie Architekten- und Ingenieurvertragsrechts ist, ließen die Einleitungsworte von Guido Schwartz, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei der Kanzlei Spieker & Jaeger, bereits erahnen: „Das Gesetz war längst überfällig. Bis zu seiner Einführung galten seit Inkrafttreten des BGB im Jahr 1900 die gleichen 24 werkvertraglichen Regelungen sowohl für den Schuster, der die Schuhe besohlte als auch für den Bauunternehmer, der einen 120-stöckigen Wolkenkratzer plante und errichtete. Dies führte dazu, dass man zusätzlich umfangreiche privatrechtliche Verträge abschloss und versuchte, mit den Regelungen der VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen), das ‚Handling’ in den Griff zu bekommen. Vieles blieb jedoch über die Jahre offen und unklar. Das Werkvertragsrecht ließ es nicht zu, die Komplexität von Baumaßnahmen annähernd zu erfassen.“ Der Jurist bemerkte, dass im aktuellen Gesetz nun vieles gut und praxisnah sei, aber manches wiederum auch unsauber und praxisfern – viele Fragen blieben offen, neue Fragen stellten sich.
Den Tisch abgeräumt
Diese Grundeinschätzung teilte auch Hauptreferent Stefan Leupertz, der keineswegs verschwieg, dass das Bauvertragsrecht „an einigen, zum Teil wichtigen Stellen in Schieflage geraten“ ist. Als Gründe nannte er die von außen in das Verfahren hineingetragenen Partikularinteressen und hielt mit seiner Kritik an unkontrolliertem Lobbyismus nicht zurück.
Dennoch: „Die Grundlagen, Gedanken und Anreize des Gesetzes sind sehr gut. Der Gesetzgeber hat ungewöhnlicherweise nicht versucht Fallkonstellationen oder bestimmte Problemlagen zu regeln. Er hat den Tisch mit bestehenden Regelwerken einmal ganz abgeräumt und das Gesetz aus den allgemein gültigen Grundregeln des Rechtsgeschäfts ‚Bauvertrag’ entwickelt“, so Leupertz. Der allerdings müsse anders als beispielsweise Kauf- oder Dienstverträge notorisch nachgesteuert werden, um die funktional definierten Vertragsziele zu erreichen. Denn: „Selbst wenn sich die Vertragsparteien noch so viel Mühe geben, sie werden bei Vertragsschluss letztendlich nie belastbar beurteilen können, welcher Aufwand tatsächlich betrieben und wie viel Zeit und Geld investiert werden muss, um das Bauvorhaben zu realisieren.“ Diese Besonderheit habe der Gesetzgeber erfasst.
Foto: Oliver Scharper/IHK
Kurz und knackig formuliert
Die Vorschriften des neuen Bauvertragsrechts seien zudem in der Tradition der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts unter dem Motto „Wir schaffen den Rechtsrahmen und die Rechtsprechung füllt diesen aus“ äußerst knackig, kurz und abstrakt-generell formuliert. „Vom Ansatz her super, für Rechtsanwälte reiner Horror – es wimmelt von unbestimmten Rechtsbegriffen. Wir müssen nun abwarten, wie die Rechtsprechung diese mit Leben füllt“, betonte Leupertz.
Anschaulich und alltagsnah verdeutlichte der ehemalige BGH-Richter an zahlreichen Praxisbeispielen, wie sich die Änderungen und Neuerungen nun auswirken könnten. Die alles entscheidende Frage sei zunächst: „Schließe ich einen Werk- oder einen Bauvertrag ab?“ Denn ein Werkvertrag enthalte im Gegensatz zu Letzterem keine Anordnungsrechte, Preisanpassungsregelung und Bauhandwerkersicherheit. Überhaupt habe der Gesetzgeber nur „ganz zart“ in das allgemeine Werkvertragsrecht eingegriffen und minimale Änderungen bei Abschlagszahlungen, fiktiver Abnahme und Kündigung durchgeführt.
Die Krux liege demgegenüber in der sehr kurz gehaltenen Definition des Bauvertrags – die ungenaue Bestimmung der Begrifflichkeiten, wie Wiederherstellung, Umbau, Beseitigung oder Instandhaltung mache eine Abgrenzung schwer. Einfach „Bauvertrag“ drüberschreiben gehe nicht, denn eine Vertragstypenwahl gibt es nicht. „Das ist tatsächlich eine Blackbox. Und alle bisherigen Kommentierungen vertreten ganz unterschiedliche Auffassungen, was ein Bauvertrag ist.“ „Der Gesetzgeber“, so Leupertz, „wollte die beiden Vertragsarten vor folgendem Hintergrund abgrenzen: Bauverträge sind auf eine längerfristige Zusammenarbeit der Parteien mit komplexem Vertragsgegenstand ausgerichtet.“
Leupertz empfahl den anwesenden Gästen, den Gerichten eine Chance zu geben. „Schreiben Sie in die Präambel, warum es sich Ihrer Auffassung nach um einen Bau- oder Werkvertrag handelt, definieren Sie, warum Sie Anordnungsrechte oder Preisanpassung berücksichtigt wissen möchten und das Gericht wird Ihrem Rechtswunsch Rechnung tragen. Denn am Ende ist der gemeinsame Wille der Vertragspartner maßgebend.“
Foto: Oliver Scharper/IHK
Anordnungsrechte und Preisanpassung
Wurde ein Bauvertrag abgeschlossen, besitzt der Auftraggeber, wie bereits erwähnt, Anordnungsrechte. Hier wird zwischen zwei Typen unterschieden: geänderte Leistungen sowie zusätzlich erforderliche Leistungen. Bei Ersteren handelt es sich um Wünsche, wie z.B. andere Dachpfannen zu verwenden oder einen Carport anstelle der Garage zu bauen. Diese Änderungen müssen für den Auftragnehmer zumutbar sein. Erfordern aber zum Beispiel vorher nicht bekannte Bodenverhältnisse die Verwendung von Pfahlgründungen anstelle einer flachgegründeten Bodenplatte, sind diese zusätzlich erforderlichen Leistungen von vornherein vertraglich geschuldet, nur noch nicht verpreist. „Aber der Auftraggeber muss immer ein Änderungsbegehren stellen. Und nun ist dank bestimmter Interessensgruppen ein Einigungsmodell entstanden, das aufgrund einer 30-Tage-Frist für Nachtragsangebote zu erheblichen Zeitverzögerungen auf der Baustelle führen kann. Das ist völlig praxisfern“, machte Leupertz seinem Ärger über die Einflussnahme Luft. Ähnlich kritisch sieht er Teile der Preisanpassungsregelung. So kann der Auftragnehmer 80 Prozent einer im Angebot genannten Mehrvergütung als Abschlagszahlung verlangen. „Bei einem unter Umständen völlig irreal überhöhten Angebot muss der Auftraggeber zum Beispiel eine einstweilige Verfügung erwirken, um zu verhindern, dass der Auftragnehmer das Geld erhält. Diese Regel ist hochproblematisch und lädt zu Obstruktion und nicht zu Kooperation und Transparenz ein.“
Kurz riss der Referent auch das neue Architekten- und Ingenieursvertragsrecht an. Dabei hob er insbesondere hervor, dass nun endlich adäquate Maßstäbe für den Werkerfolg dieser Berufsgruppen implementiert wurden. Denn dieser ließe sich nicht einfach am Bauerfolg messen. Vielmehr konkretisiere sich der Werkerfolg mit der Auswahl des Entwurfs durch den Auftraggeber. Zudem hätten Architekten und Ingenieure nun das Recht auf Teilabnahme. Hinzu kommt ein Sonderkündigungsrecht des Bauherrn und des Architekten nach Abschluss der Zielfindungsphase. So hätten Architekten auch bei Nichtzustandekommen des weitergehenden Vertrages einen Anspruch, den bis dato angefallenen Aufwand in Rechnung zu stellen und müssten sich nicht mehr in gleicher Weise wie bisher mit den Streitigkeiten über die Vergütung unter dem Gesichtspunkt der kostenlosen Akquisetätigkeit auseinandersetzen.
Dass die Rechtsentwicklung hier nicht am Ende ist bzw. sein kann, wurde in der anschließenden regen Diskussion deutlich. Gerade zur Beratung und Klärung der neu eingeführten Rechtsbegriffe werden die Immobilienanwälte von SPIEKER & JAEGER viel zu tun bekommen, hob Rechtsanwalt Rainer Beckschewe, Fachanwalt bei SPIEKER & JAEGER in seinem Schlusswort hervor.