Es ist in der Praxis seit Jahrzehnten zu beobachten, dass Gesellschafter mittelständischer Unternehmen einen nachträglichen Kapitalbedarf ihrer Gesellschaft sehr viel lieber durch Gesellschafterdarlehen als durch eine Kapitalerhöhung oder eine (verdeckte) Einlage in die Rücklage decken. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, dass der Gesellschafter bei gutem wirtschaftlichen Verlauf für die Gewährung des Darlehens Zinsen verlangen kann und das Darlehen bei einer Entspannung der Liquiditätslage zurückfordern kann.
Grundsätzlich ist der Gesellschafter, der seiner Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ein Darlehen gewährt, wie jeder andere Darlehensgeber zu behandeln. Wenn ein Privatmann einem Dritten (Privatmann oder Gesellschaft) ein Darlehen gewährt und später den Darlehensrückzahlungsanspruch nicht realisieren kann, dann ist dies grundsätzlich einkommensteuerlich unbeachtlich, d. h. der Ausfall des Darlehens kann steuerlich nicht geltend gemacht werden.
Von diesem Grundsatz hatte die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) nach altem Recht (bis 01.01.2009) eine Ausnahme zugelassen, wenn das von einem Gesellschafter an seine GmbH überlassene Darlehen den Charakter von funktionalem Eigenkapital hatte. Dies war immer dann der Fall, wenn das Darlehen die Kriterien für sog. Eigenkapital ersetzende Darlehen erfüllte, d. h. – u. a. – eine beschränkte Rückzahlungsmöglichkeit in der Krise gegeben war. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen sollte nach der Rechtsprechung des BFH die Darlehenssumme die Anschaffungskosten des Gesellschafters auf seine Beteiligung an der GmbH erhöhen. Bei einem Wertverlust oder einem Wegfall der Beteiligung konnten diese (erhöhten) Anschaffungskosten steuerlich als Verlust geltend gemacht werden. (Dies war das steuerliche Äquivalent dafür, dass ein Gewinn aus dem Verkauf einer privat gehaltenen GmbH-Beteiligung bekanntlich zu versteuern ist (§ 17 Einkommensteuergesetz [EStG]), was bei anderen privat gehaltenen Vermögensgegenständen grundsätzlich nicht der Fall war.)
Mit Wirkung vom Jahr 2009 hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) das Eigenkapitalersatzrecht abgeschafft, d. h. es gibt keine Eigenkapital ersetzenden Darlehen mehr. Gesellschafterdarlehen können also grundsätzlich auch in der Krise der GmbH zurückgezahlt werden. Lediglich dann, wenn die Rückzahlung innerhalb eines Jahres vor Insolvenzeröffnung stattfindet, muss das zurückgezahlte Gesellschafterdarlehen wieder an die GmbH bzw. die Insolvenzmasse zurückgezahlt werden (§ 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 Abs. 1 Insolvenzordnung [InsO]).
Aus dieser Änderung der zivilrechtlichen Gesetzeslage ergab sich die spannende Frage, ob der BFH gleichwohl diejenigen Gesellschafterdarlehen, die funktional Eigenkapital darstellten, als Anschaffungskosten der Beteiligung werten würde.
Die Finanzverwaltung hat den Fortbestand dieser Möglichkeit bejaht (Bundesfinanzministerium-Schreiben [BMF-Schreiben] vom 21.10.2010). Auch in der Literatur und in der Rechtsprechung der Finanzgerichte wurde dies bejaht.
Zur großen Überraschung der Fachwelt hat der BFH jetzt (Urteil vom 11.07.2017) entschieden, dass er Gesellschafterdarlehen, die funktional Eigenkapital darstellen, grundsätzlich nicht mehr als eine Erhöhung der Anschaffungskosten für die Beteiligung werten will. Der BFH begründet dies damit, dass seine frühere Ausnahme-Rechtsprechung ausschließlich an das Eigenkapitalersatzrecht anknüpfte. Mit dessen Wegfall sei somit keine hinreichende Grundlage mehr für die Ausnahme-Rechtsprechung gegeben. Dieses Urteil hat für die Praxis ganz erhebliche Konsequenzen:
- Zunächst ist festzustellen, dass der BFH wegen der (sehr späten) Änderung seiner Rechtsprechung Vertrauensschutz gewährt. Die neue Rechtsprechung gilt nicht für Alt-Darlehen, sondern sie findet erst für Darlehen Anwendung, die nach der Veröffentlichung des Urteils (27.09.2017) gewährt werden.
- Der BFH hat entschieden, dass nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung nur noch dann vorliegen, wenn Einlagen vorliegen. Die verdeckte Einlage in die Rücklage erfüllt diese Anforderungen. Daher wird in der Praxis Gesellschaftern zu raten sein, künftig bei Bestehen eines latenten Ausfallrisikos keine Gesellschafterdarlehen mehr zu gewähren, sondern Einlagen in die Kapitalrücklage vorzunehmen.
Gesellschafterdarlehen können nur noch in dem Fall als eine Einlage gewertet werden, in denen das Darlehen von vornherein mit einem Rangrücktritt versehen wird, der die strengen Anforderungen des BGH (vgl. dazu Urteil vom 05.03.2015) erfüllt.
Die neue Rechtsprechung des BFH gilt auch für Aufwendungen des Gesellschafters aus der Inanspruchnahme als Bürge, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft kein Geld zur Verfügung gestellt hat, sondern sich – beispielsweise gegenüber einer Bank – für Verbindlichkeiten der GmbH verbürgt hat. Aus steuerlicher Sicht ist Gesellschaftern daher regelmäßig davon abzuraten, persönliche Bürgschaften für Bankverbindlichkeiten ihrer GmbH zu übernehmen. Ob dies gegenüber der Bank durchgesetzt werden kann, ist eine Verhandlungssache. Ggf. ist es aus steuerlicher Sicht sinnvoller, dass der Gesellschafter bei der Bank statt der Hingabe der Bürgschaft ein Darlehen aufnimmt und die Darlehenssumme als Einlage in die Kapitalrücklage gewährt.