Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine Frau, die ohne Hoffnung auf Besserung im Koma liegt, weiter künstlich ernährt werden muss, obwohl sie in einer Patientenverfügung bestimmt hatte, dass sie in einer solchen Situation keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht. Das hat für Unruhe gesorgt. Hunderttausende von Verfügungen seien nun unwirksam, so heißt es in der Presse. Für die meisten Patientenverfügungen gilt das zwar nicht. Eine kurze Prüfung ist jedoch anzuraten.
„Alles erledigt – bloß schnell wieder vergessen“, ist der wohl vorherrschende Gedanke derjenigen, die ihre Patientenverfügung unterzeichnet haben. Die gesetzliche Definition (§ 1901 a) BGB) wirkt bestärkend. „Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen.“
Der vom Patienten vorher selbst für die „Zielgerade“ seines Lebens schriftlich festgelegte Wille ist also kraft Gesetzes zu beachten. An sich sollte mit der schriftlichen Erklärung dieses Willens das Thema also „abgehakt“ sein.
Doch nun hat der BGH mit seinem Beschluss vom 6. Juli 2016 für Unruhe gesorgt und Zweifel geweckt, ob die in einer Patientenverfügung verwendeten Formulierungen ausreichen. Dabei ist es schon nicht ganz leicht, auch nur darüber nachzudenken, unter welchen Umständen denn das eigene Leben besser enden sollte als es in schwerster Krankheit fortzuführen, geschweige denn, dies in Worte zu fassen. Noch weiter entfernt liegt einem eigentlich der Gedanke, was genau denn in solchen Situationen medizinisch noch getan werden könnte und ob man das dann lieber nicht mehr möchte. Außerdem kennt sich der Laie insoweit nicht allzu gut aus.
Doch gerade hier setzt der BGH an. Die schriftliche Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, enthält danach für sich genommen nicht „die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen“.
Im entschiedenen Fall ging es um die Fortführung einer künstlichen Ernährung mit einer Sonde bei einer 75-jährigen Patientin, die infolge eines Hirnschlags nicht mehr handlungsfähig war und jedenfalls die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation verloren hatte. Ob die Patienten noch Reaktionen auf Ansprache zeigte, war wohl im Verfahren streitig; ihren eigenen Wunsch, künstlich ernährt zu werden oder eben nicht, konnte sie aber sicher nicht nachvollziehbar erklären. Und eine Hoffnung auf Besserung sahen die Ärzte nicht.
Dass damit eine der Situationen vorlag, für die die Dame die Patientenverfügung getroffen hatte, hat der BGH bestätigt. Nur sei eben nicht klar, ob der Wunsch, keine lebenserhaltenden Maßnahmen an ihr durchzuführen, auch die künstliche Ernährung betreffe. Hinzu kam noch, dass eine der Töchter der Patientin eine Vorsorgevollmacht hatte. Sie war von der Mutter bevollmächtigt worden, für sie auch über den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen zu entscheiden. Und diese Tochter wollte die künstliche Ernährung fortführen lassen. Anders dagegen die beiden weiteren Töchter, die deshalb das letztinstanzlich vom BGH entschiedene Verfahren anstrengten.
Dabei ist an sich die Linie des BGH zum Verhältnis von Vollmacht und Patientenverfügung klar: „Liegt eine wirksame und auf die aktuelle Situation zutreffende Patientenverfügung vor, hat der Betroffene die Entscheidung selbst getroffen. Dem Bevollmächtigten obliegt es dann gemäß § 1901 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 BGB nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen festzustellen.“ Die Patientenverfügung geht also vor. Gleichwohl scheint die Entscheidung auch dadurch geprägt zu sein, dass die Vertrauensperson, die die Mutter als Vorsorgebevollmächtigte eingesetzt hat, offenbar Unterschiede machte zwischen lebenserhaltenden Maßnahmen und künstlicher Ernährung. Und schließlich mag der Richterspruch auch davon beeinflusst sein, dass die Entscheidung im Sinne der beiden beschwerdeführenden Schwestern alsbald den Tod der Mutter herbeigeführt hätte – eine Folge, die sicherlich manchem Richter zumindest unbehaglich ist.
Die Entscheidung betrifft also – wie in der Regel – einen besonderen Einzelfall. Dass der BGH die Verfügung des Patienten, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen durchzuführen“, nicht für ausreichend hält, um eine künstliche Ernährung zu unterlassen, steht aber nun als ein (abstraktes) Ergebnis der Entscheidung fest. Und immerhin stützt sich das Gericht dazu auf die Gesetzesbegründung.
Es steht zu erwarten und ist wohl auch zu raten, dass Ärzte in genau solchen Konstellationen die künstliche Ernährung einleiten und fortführen. Und man wird wohl auch nichts ausrichten können, wenn Ärzte auch sonstige Maßnahmen zur Lebenserhaltung, wie künstliche Beatmung, Wiederbelebung etc. ergreifen, obwohl in der Patientenverfügung steht, dass in einer dieser (zweifelsfrei vorliegenden) Situationen – „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ ergriffen werden sollen.
Wer diese Formulierung für die Behandlungsmaßnahmen isoliert in seiner Patientenverfügung wiederfindet, sollte also in der Tat klarstellende Erklärungen ergänzen. Dabei ist es durchaus nicht unproblematisch, einen „Katalog“ von Maßnahmen aufzustellen, die nicht geschehen sollen. Denn dies könnte den Rückschluss zulassen, dass eben andere Maßnahmen, die das Leben erhalten, die der Betroffene aber nicht speziell ausgeschlossen hat, durchgeführt werden sollen (obwohl der Patient vielleicht diese Möglichkeit nur nicht kannte oder nicht daran gedacht hat).
Die Entscheidung des BGH wird daher auch in der Rechtsliteratur auf Kritik stoßen. Dass „Hunderttausende von Patientenverfügungen damit zunichte gemacht“ wurden, erscheint allerdings zweifelhaft. Im BGH-Fall ging es um eine Formulierung aus einem Muster der evangelischen Kirche. Die in unserem Haus regelmäßig verwendeten Erklärungen legen konkretere Behandlungswünsche fest für ausdrücklich genannte, konkrete Behandlungssituationen. Dies entspricht den Empfehlungen des Bundesjustizministeriums.
Wer seinen Patientenwillen auf diese Weise niedergelegt hat, kann daher in der Tat die Patientenverfügung erleichtert alsbald wieder vergessen.