Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hielt am 21.03.2023 fest, dass die auf europäischen Richtlinien beruhenden Typengenehmigungsvorschriften deutschen Rechts auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber Herstellern schützen (EuGH, Urt. v. 21.03.2023, C-100/21, Rn. 85). Am 08.05.2023 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) diese Vorgabe der Luxemburger Richter zu verarbeiten und verhandelte gleich drei Fälle, die Fahrzeuge der VW-Gruppe und Mercedes-Benz betrafen, die sich allesamt auf die Anspruchsgrundlage des § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) stützen und die Rückabwicklung der geschlossenen Kaufverträge verfolgten.
Typgenehmigungsvorschriften als Schutzgesetze
Die mündliche Verhandlung gestaltete der Senat dabei ergebnisoffen, ließ jedoch durchaus seinen Willen zur Abkehr von der bisherigen Rechtsprechungslinie erkennen. Tatsächlich sollten die vorbenannten Typengenehmigungsvorschriften nunmehr als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB herangezogen werden. Der wesentliche Vorteil aus Sicht der Erwerber dürfte dabei darin liegen, dass nicht mehr die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung der Hersteller dargelegt und bewiesen werden muss, sondern für die Zwecke des § 823 Abs. 2 BGB, so der Senat, die fahrlässige Verletzung der vorbenannten Typengenehmigungsvorschriften genüge.
Verschuldensgrad und Umfang des Ersatzanspruches
In zahlreichen europäischen Rechtsordnungen, so etwa in Österreich in den §§ 1323 ff. Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB), ist es anerkannt, dass der Grad des Verschuldens des Schädigers Auswirkungen auf den Ersatz bestimmter Schäden hat. Eben dieser Ansicht scheint sich nun auch der Senat zuzuneigen, weil nach Maßgabe des § 823 Abs. 2 BGB keine vollständige Rückabwicklung der gegenständlichen Verträge, sondern der Minderwert (auch) aufgrund verschlechterter Wiederverkaufsmöglichkeiten ersatzfähig sein soll. Ein solcher Ersatz solle im Gleichlauf mit dem durch die Typengenehmigungsvorschriften geschützten Interesse zwischen dem „kleinen“ und dem „großen“ Schadensersatz angesiedelt sein; der Senat versuchte sich an der Begrifflichkeit eines „Differenzhypothesenvertrauensschadens“, als „mittlere“ Form.
Rolle der Äußerungen des Kraftfahrzeugbundesamtes
Angesichts der wohl durchaus widersprüchlichen Äußerungen des Kraftfahrzeugbundesamtes im vorliegenden Zusammenhang galt es sodann die Frage zu klären, ob Hersteller in Ansehung der Thermofenster einem rechtfertigenden, weil unvermeidbaren Irrtum unterlegen seien. In diesem Zusammenhang ließ der Senat erkennen, dass eine solche Unvermeidbarkeit eine recht hohe Hürde bildete und er zudem einer einschlägigen Entscheidung des EuGH (Urt. v. 14.07.2022, C-145/20, Rn. 56) folgen könnte, die eine Berücksichtigung derartigen Vortrags als unerheblich erachtete.
Nutzungsersatz
Die Frage des geschuldeten Nutzungsersatzes für betroffene Fahrzeuge, der Ansprüche der Erwerber entfallen lassen könnte, wurde durch den Senat nicht eingehender erörtert. Dies ist unerfreulich, weil der besondere Charme der durch den Senat in Aussicht gestellten Lösung darin liegen könnte, dass bei Geltendmachung des „mittleren“ Ersatzes nach § 823 Abs. 2 BGB ein solcher Nutzungsersatz gerade nicht anfiele. Die Missachtung der Typengenehmigungsvorschriften dürfte nicht adäquat kausal für die Nutzungsmöglichkeit des Erwerbers sein. Zudem würde ein solches Verständnis einem entsprechenden Fingerzeig des EuGH entsprechen (EuGH, Urt. v. 21.03.2023, C-100/21, Rn. 93).
Allerdings hatte der Senat in einer vorhergehenden Entscheidung festgehalten, dass bei Geltendmachung des „kleinen“ Schadensersatzes im Rahmen des § 826 BGB Nutzungsvorteile schadensmindernd anzurechnen seien, wenn diese Vorteile den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen (BGH, Urt. v. 24.01.2022, VIa ZR 100/21, Rn. 21).
Die Entscheidungen dürfen daher mit Spannung erwartet werden. Der Verkündungstermin wurde auf den 26.06.2023 bestimmt.