Der für das Urlaubsrecht zuständige 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat in den vergangenen Jahren in mehreren grundlegenden Entscheidungen europäische Richtlinien und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) berücksichtigt. Über eine dieser Entscheidungen, die den Verfall nicht genommener Urlaubstage betraf, hatten wir bereits im Jahr 2020 informiert.
Im Jahr 2019 hatte der Senat entschieden (Urt. v. 25.06.2019, 9 AZR 546/17), dass Urlaub der Beschäftigten in Anwendung des § 7 Abs. 3 Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (BUrlG) in der Regel nur zum Jahresende oder im Fall der Übertragung zum 31.03. des Folgejahres verfalle, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraumes erlischt. Die in einer Urlaubsliste enthaltene Mitteilung einer bestimmten Anzahl von Urlaubstagen stellt nach Ansicht des BAG dabei nur eine Wissens- und keine rechtsgestaltende Willenserklärung des Arbeitgebers dar und gilt daher nicht als konkrete Aufforderung, den noch bestehenden Resturlaub auch zu nehmen. Ohne die konkrete Information und Aufforderung bleibt nach dieser Entscheidung mithin nicht genommener Urlaub erhalten. Da diese Problematik auch nicht genommenen Urlaub vergangener Jahre betrifft, was zu erheblichen Ansprüchen führen kann, die bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis auch finanzielle Urlaubsabgeltungsansprüche auslösen, bestand immer die Frage, ob Urlaubsansprüche der Vergangenheit nach Ablauf der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB verjähren. Das wurde überwiegend bejaht und insofern erschien das Risiko der Arbeitgeber für Urlaubsansprüche aus der Vergangenheit zu haften überschaubar.
In einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 20.12.2022, 9 AZR 266/20) sieht dies der 5. Senat aber differenziert: Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliege zwar der gesetzlichen dreijährigen Verjährung. Allerdings beginnt nach dem Urteil vom 20.12.2022 die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Das gilt auch für die Vergangenheit. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall beschäftigte eine Steuerberaterkanzlei die Klägerin vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte die beklagte Arbeitgeberin an die Klägerin zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 EUR 3.201,38 brutto. Der weitergehenden Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, kam die Beklagte nicht nach. Während das Arbeitsgericht (ArbG) die weitergehenden Ansprüche aus der Vergangenheit als verjährt ansah und die Klage abwies, hatte die Berufung und Revision der Klägerin Erfolg. Da die Beklagte die Klägerin in der Vergangenheit über die bestehenden Resturlaubsansprüche nicht belehrt und sie auch nicht aufgefordert hatte, den Urlaub zu nehmen, erachtete das BAG den Einwand der Beklagten, die geltend gemachten Urlaubsansprüche seien verjährt, für nicht durchgreifend und sprach der Klägerin weitere EUR 17.376,64 brutto zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen der Vorjahre zu.
Auch in den Fällen des Urlaubsanspruchs langzeiterkrankter Arbeitnehmer ist die Entscheidung des BAG von Bedeutung. Nach bisheriger Senatsrechtsprechung gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche in einem solchen Fall – bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit – ohne weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres unter („15-Monatsfrist“). Diese Rechtsprechung hat der Senat in Umsetzung der Vorgaben des EuGH nunmehr weiterentwickelt:
Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger war in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall bei der beklagten Flughafengesellschaft als Frachtfahrer im Geschäftsbereich Bodenverkehrsdienste beschäftigt. In der Zeit vom 01.12.2014 bis mindestens August 2019 konnte er wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen und deshalb seinen Urlaub nicht nehmen. Mit seiner Klage hat er u.a. geltend gemacht, ihm stehe noch Resturlaub aus dem Jahr 2014 und der weiteren Jahre zu. Dieser sei nicht verfallen, weil die Beklagte ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei.
Im Ergebnis hatte die Klage nur hinsichtlich der restlichen Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2014 Erfolg. Da der Kläger in diesem Jahr gearbeitet hatte und die beklagte Arbeitgeberin ihrer Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen war, blieb der Urlaubsanspruch erhalten und war daher auch nicht verjährt. Für die Folgejahre, in denen der Kläger aber ganzjährig krankheitsbedingt fehlte, verneinte der Senat die Ansprüche des Klägers trotz der weiterhin fehlenden Hinweise der Arbeitgeberin. Bleibt ein Arbeitnehmer, so das BAG, auch bis nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt, ist es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, den Arbeitnehmer von dem Bestehen von Urlaubsansprüchen und deren Befristung in Kenntnis zu setzen, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen. Ist der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres ohne einen Tag gearbeitet zu haben arbeitsunfähig, sind nämlich nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass Arbeitgeber jeden einzelnen Arbeitnehmer in jedem Urlaubsjahr so rechtzeitig und konkret von dem Bestehen restlicher Urlaubsansprüche und deren Befristung in Kenntnis setzen sollten, dass diese der Aufforderung, den Urlaub zu nehmen, noch nachkommen können.