Die potentielle Haftung von Geschäftsführern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) hat Konjunktur. Wir hatten in diesem Zusammenhang bereits eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg (Urt. v. 30.03.2022, 12 U 1520/19) besprochen, nach der die Geschäftsführer einer GmbH u.a. zur Einrichtung eines Compliance Management Systems sowie zur Einführung des Vier-Augen-Prinzips („two-man-rule“) bei kritischen Arbeitsprozessen verpflichtet sind.
Verstoßen die Geschäftsführer gegen ihre Verpflichtung, in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden, haften sie der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) gesamtschuldnerisch für den entstandenen Schaden.
Das OLG Zweibrücken hat sich nun, entgegen dem allgemeinen Trend der Rechtsprechung, an die Einhaltung der Sorgfaltspflichten immer höhere Anforderungen zu stellen, für Haftungserleichterungen ausgesprochen (Urt. v. 18.08.2022, 4 U 198/21).
Haftung nach § 43 GmbHG nur bei Verletzung spezifischer Organpflicht
Das OLG Zweibrücken hat zunächst klargestellt, dass die gesetzliche Haftung der Geschäftsführer einer GmbH gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG die Verletzung einer spezifischen Organpflicht voraussetzt. Eine solche soll zu verneinen sein, wenn auch Dritte – unabhängig von der Organstellung – die in Rede stehende Handlung hätten vornehmen können. Dies bedeutet im Ergebnis nach richtiger, wenngleich nicht unbestrittener Ansicht, dass sog. Leitungsentscheidungen stets die Ausübung spezifischer Organpflichten darstellen. Demgegenüber sind darunter angesiedelte Geschäftsführungsaufgaben nur dann organspezifisch, wenn nach dem konkreten Zuschnitt des Unternehmens der Geschäftsführer auch auf dieser untergeordneten Ebene tätig wird und werden soll.
Zwar ist die Haftung des Geschäftsführers für die Verletzung nichtspezifischer Organpflichten nicht ausgeschlossen – es kommt vielmehr eine Haftung wegen Verstoßes gegen die Verpflichtungen aus dem Geschäftsführerdienstvertrag in Betracht – doch unterscheidet sich diese Haftung grundlegend von der gesetzlichen Haftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG.
Zum einen obliegt dem Geschäftsführer im Rahmen der Haftung aus dem zwischen ihm und der Gesellschaft geschlossenen Dienstvertrag die Darlegungs- und Beweislast nur im Hinblick auf das von ihm zu widerlegende vermutete Verschulden, wohingegen der Geschäftsführer sich im Rahmen der Haftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG auch bezüglich der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzung entlasten muss, um einer Haftung zu entgehen.
Neben marginalen Unterschieden beim vom Geschäftsführer zu beachtenden Sorgfaltsmaßstab ergeben sich zum anderen wesentliche Unterschiede bei Beantwortung der Frage, in welchem Zeitraum entsprechende Ansprüche gegenüber dem Geschäftsführer verjähren. Insofern gilt für die Haftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG eine (kenntnisunabhängige) fünfjährige Verjährungsfrist ab Entstehung des Schadens und eine Verjährung der Ansprüche aufgrund der Verletzung von Pflichten aus dem Geschäftsführerdienstvertrag nach der regelmäßigen Verjährung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), also in aller Regel binnen drei Jahren ab dem Ende des Jahres, in dem der Schaden entstanden ist und der Geschädigte Kenntnis erlangt hat.
Schlussendlich besteht ein weiterer Unterschied darin, dass für die Haftung wegen Verletzung der Pflichten aus dem Geschäftsführerdienstvertrag nach der Auffassung des OLG Zweibrücken die Grundsätze des für einfache Arbeitsverhältnisse entwickelten Rechtsinstituts des innerbetrieblichen Schadensausgleichs anwendbar sein sollen. Nach diesem Grundsatz wäre die Haftung des Geschäftsführers bei verwirklichter leichter Fahrlässigkeit vollständig ausgeschlossen und bei einer Pflichtverletzung mittlerer Fahrlässigkeit jedenfalls zu reduzieren.
Ausschluss der Haftung durch stillschweigendes Einverständnis
Weitergehend hat das OLG Zweibrücken die Haftung des beklagten Geschäftsführers auch deshalb ausgeschlossen, weil sich die Gesellschafter mit dem im Klageverfahren beanstandeten Verhalten stillschweigend einverstanden erklärt hätten. Dies sei dadurch erfolgt, dass der Alleingesellschafter von der beklagten Geschäftsführerin in die geführte E-Mail-Korrespondenz „in cc“ eingebunden war und keine gegenläufigen Weisungen erteilt habe.
Wenngleich diese These des OLG Zweibrücken Anlass zur Kritik gibt – die Gesellschafter einer GmbH sind nicht verpflichtet, von ihrem allumfassenden Weisungsrecht in Bezug auf Geschäftsführungsmaßnahmen Gebrauch zu machen – lässt die Entscheidung erkennen, dass nun auch Obergerichte anscheinend bereit sind, die strengen Maßstäbe der Geschäftsführerhaftung in Einzelfällen zu lockern.
Ob sich hieraus ein allgemeiner Trend wird ablesen lassen, wird die Entwicklung der Rechtsprechung zeigen. Die in der Anzahl überwiegenden Entscheidungen lassen dies indes nicht vermuten.