Von Handpreisauszeichnern, sozialen Netzwerken und Datenschutz – OLG Düsseldorf legt im Facebook-Verfahren beim EuGH vor

Der 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf hat am 24. März 2021 zur Hauptsache zwischen dem Bundeskartellamt und Facebook verhandelt. Das Verfahren wurde ausgesetzt. Dem Europäischen Gerichtshof („EuGH“) sollen Fragen zur Auslegung der Datenschutzgrundverordnung („DSGVO“) vorgelegt werden. Der entsprechende Beschluss des OLG Düsseldorf liegt zwar noch nicht vor. Allerdings können ausgehend von den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung im Folgenden die Hintergründe und Wagnisse dieser Vorgehensweise aufgezeigt werden.

Handpreisauszeichner

Bekanntlich spielt der Fall insgesamt in der Missbrauchsaufsicht nach § 19 GWB. Für eine Einordnung ist es daher hilfreich, sich vorab der entsprechenden Grundlagen und Dogmatik anhand eines plastischen Falles zu versichern. Schon wegen der damit verbundenen Geräuschkulisse bietet sich die Entscheidung des Kammergerichts („KG“) aus dem Jahre 1969 zu Handpreisauszeichnern an (Urt. v. 18.02.1969, Kart V 34/67). Das namensgebende Gerät ist jedermann bekannt; es dient dazu, etwa Preisetiketten auf Produkte zu kleben, die im Lebensmitteleinzelhandel erworben werden können. Diese Handpreisauszeichner wurden zunächst nur durch einen, sohin marktbeherrschenden, Hersteller angeboten. An den Erwerb des Auszeichners knüpfte der Hersteller eine recht drastische Bedingung: Die Etiketten waren exklusiv beim Hersteller zu erwerben und dabei deutlich teurer als jene Etiketten der Konkurrenz.

Mit dieser Verhaltensweise hatte der Hersteller gleich zwei Kartellrechtsverstöße im Sinne des § 19 GWB begangen. Zunächst lag ein sogenannter Behinderungsmissbrauch vor. Im Kartellrecht werden unter diesem Begriff im Kern solche Verhaltensweisen eines Marktbeherrschers erfasst, mit denen er dessen Wettbewerber in deren Möglichkeiten beschränkt. Im Falle der Handpreisauszeichner liegt diese Behinderung in der langen Ausschließlichkeitsbindung hinsichtlich der Etiketten. Wettbewerbern war es so unmöglich, eigene Etiketten an den Markt zu bringen. Da nicht jede Behinderung von Wettbewerbern durch das Kartellrecht unterbunden werden soll, bedarf es bei einem Behinderungsmissbrauch schließlich einer Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Marktbeherrschers („Nicht-Leistungswettbewerb“) das Verhalten ausüben zu dürfen und den Interessen der Freiheit des Wettbewerbs („Leistungswettbewerb“). Unter letztere abzuwägende Interessen werden zusätzlich zu technischen Gründen, Sicherheitsaspekten, Gesundheitsschutz oder Effizienzvorteilen auch solche Wertungen verstanden, die sich aus anderen Rechtssätzen ergeben. Im Fall der Handpreisauszeichner vermochte das Kammergericht keine gerechtfertigten Interessen für die Ausschließlichkeitsbindung erkennen.

Neben diesem Behinderungsmissbrauch hatte der Hersteller einen zweiten Kartellrechtsverstoß, einen sogenannten Ausbeutungsmissbrauch zu vertreten. Ein Ausbeutungsmissbrauch liegt dann vor, wenn die jeweilige Marktgegenseite unangemessen oder missbräuchlich benachteiligt ist. Im Vergleich zum Behinderungsmissbrauch liegt ein ganz erheblicher Unterschied im Tatvorwurf. Beim Behinderungsmissbrauch wird der Wettbewerb behindert; beim Ausbeutungsmissbrauch ist die Forderung des Herstellers gegenüber seinen Abnehmern und Lieferanten unangemessen. Im Fall des Handpreisauszeichners geht es also nicht um die Ausschließlichkeitsbindung, sondern um den überhöhten Preis für die Etiketten.  Bei dem zu fällenden Unwerturteil geht also im Kern nicht um rechtliche Wertungen, sondern um das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung wird nur deshalb kartellrechtlich relevant, weil dem Hersteller die Durchsetzung des unangemessenen Preises erst aufgrund des fehlenden Wettbewerbes möglich wird.

Etwas vereinfacht kann man also festhalten, dass durch die Verfolgung des Behinderungsmissbrauchs Wettbewerber geschützt werden und es auf eine rechtliche Wertung ankommt, während beim Ausbeutungsmissbrauch Abnehmer geschützt werden und auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung abzustellen ist.

Facebook

Schon der Tatvorwurf des Bundeskartellamtes gegen Facebook bewegt sich tatsächlich nicht innerhalb der obigen Kategorien. Daher musste nun das OLG Düsseldorf klären, ob die Erfassung und Zusammenführung derjenigen Daten, die Facebook außerhalb der Plattform facebook.com (so etwa bei WhatsApp oder Instagram) generiert, eine Behinderung oder Ausbeutung im vorbeschriebenen Sinne darstellt. Vor diesem Hintergrund ist die Vorlage an den EuGH zu Fragen der DSGVO doch einigermaßen erstaunlich.

Wie gezeigt, kommt es auf diese datenschutzrechtlichen Erwägungen nur im Rahmen eines Behinderungsmissbrauches an. Allein bei dieser Form des Kartellrechtsverstoßes wären im Rahmen der beschriebenen Interessenabwägung Fragen der DSGVO überhaupt zu berücksichtigen. Um jedoch überhaupt zu dieser Interessenabwägung zu gelangen, müsste eine (hypothetische) Behinderung von Wettbewerbern Facebooks durch die Datenzusammenführung vorliegen. Dies ist aber einigermaßen fraglich: Den Ausführungen des Bundeskartellamtes sind entsprechende Ausführungen nicht zu entnehmen. Ein kurzer Blick in die Vergangenheit offenbart in tatsächlicher Hinsicht, dass es auf einen „Datenreichtum“ bei Onlineplattformen wohl eher nicht ankommen kann. Auch Google hatte sich an einer Facebook-Alternative versucht und das eigene Produkt Google+ ins Leben gerufen. Google+ ist zwischenzeitlich jedoch vom Markt verschwunden, was gewiss nicht an fehlenden Daten lag.

Für einen Ausbeutungsmissbrauch kommt es schon im Kern nicht auf (datenschutz-)rechtliche, sondern quantitative Erwägungen an. Es wäre die Frage zu klären, ob die Hingabe und Verarbeitung der Nutzerdaten ohne entsprechende Gegenleistung geblieben sind. Einiges spricht hier dafür, dass die Nutzer gerade keine Schäden erleiden, weil die gesammelten Daten der Verbesserung des Produktes dienen könnten, was – immerhin – kostenlos angeboten wird. Im Sinne einer Störung von Leistung und Gegenleistung wäre daher zu klären, ob die kostenlose Nutzung von Facebook und die Hingabe von Daten außerhalb von Facebook in einem angemessenen Verhältnis stehen.

Technicalities

Das OLG Düsseldorf nähert sich dem Datenschutzrecht noch auf einem ganz anderen Weg an. Das Bundeskartellamt, das ja – womöglich systemwidrig – im Rahmen des Kartellrechts datenschutzrechtliche Erwägungen in den Vordergrund stellte, habe, so das OLG Düsseldorf, dann doch wohl als Datenschutzbehörde gehandelt. Indes wird die entsprechende Zuständigkeit nationaler Behörden in der DSGVO geregelt, dort wird freilich nicht das deutsche Bundeskartellamt, sondern die Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes erwähnt. Mit dieser Kompetenzüberschreitung könnte, so der 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf, auch ein Verstoß gegen das Gebot der loyalen Zusammenarbeit verbunden sein. Schließlich sind Verstöße gegen das Datenschutzrecht in allererster Linie durch die Datenschutzbehörde am Sitz des Unternehmens (hier: Irland) zu verfolgen.

Ähnlich „technisch“ ist der Einwand des 1. Kartellsenates dahingehend, dass das Bundeskartellamt bei seiner Prüfung der Sache höherrangiges, namentlich europäisches Recht nach Art. 102 AEUV nicht geprüft habe. Dies wäre in Ansehung der „german clause“ in Art. 3 VO 1/2003 allenfalls dann möglich, wenn deutsches Recht eine strengere Regelung als Art. 102 AEUV darstellte. Die diesbezüglichen Ausführungen des Bundeskartellamtes seien, so der Kartellsenat, wohl zu dürftig.

Zeitfaktor

In der Digitalwirtschaft (ebenso wie im Kartellrecht) ist Zeit ein ganz wesentlicher Faktor: Produkte die eben noch gleichsam der letzte Schrei waren, sind morgen schon überholt (siehe Google+, oben). Eben jenes droht im vorliegenden Verfahren. Das Bundeskartellamt hat das Verfahren 2016 eingeleitet und im Februar 2019 seinen Beschluss vorgelegt. Im August 2019 hat der 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz gefällt. Die Rechtsbeschwerde zum BGH nahm weitere Monate in Anspruch. Der Vorlagebeschluss kostet nun weitere Zeit – man darf mit etwa 16 Monaten rechnen.

All dies dürfte freilich weniger dem 1. Kartellsenat, sondern dem Bundeskartellamt anzulasten sein. Die Rechtsansichten des 1. Kartellsenates waren dem Bundeskartellamt nicht unbekannt; die entsprechenden Positionen waren in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren bereits ausgetauscht worden. Dem Bundeskartellamt wäre es womöglich noch in der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren möglich gewesen, entsprechende Gründe nachzuschieben und seinen Tenor gleichsam auszubessern. Nun wird es der EuGH zu richten haben.

Eine vertiefte Fassung dieses Beitrags in englischer Sprache ist auf dem Kluwer Competition Law Blog erschienen.

  • Prof. Dr. Thomas Thiede, LL.M.

    • Rechtsanwalt
    • Deutsches und europäisches Kartellrecht / Fusionskontrolle
    • Honorarprofessor der Karl-Franzens-Universität Graz