Der Bundestag hat am 17.12.2020 den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung angenommen. Zentrales Element des Gesetzentwurfs ist das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), mit dem die EU-Restrukturierungsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden soll. Auf eine Bedeutungssteigerung darf dabei der Gerichtsstandort Dortmund hoffen.
Intention des Gesetzgebers
Ein Insolvenzverfahren dient der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger. Hierzu kann das Vermögen des Schuldners verwertet und an seine Gläubiger verteilt werden. Betreibt der Schuldner ein Unternehmen, kann jedoch oftmals für die Gläubiger ein besseres Gesamtergebnis erzielt werden, wenn das Unternehmen – so es denn ein grundsätzlich überlebensfähiges Geschäftsmodell hat – saniert wird. Der Versuch einer Sanierung kann durch den Insolvenzverwalter erfolgen, in bestimmten Fällen auch durch den Schuldner selbst in Eigenverwaltung. Insbesondere zum Zweck einer Sanierung können die Verfahrensbeteiligten eines Insolvenzverfahrens einen Insolvenzplan beschließen, durch den in weitgehender Autonomie vom Regelverfahren abweichende Vereinbarungen getroffen werden können, durch den aber kein Planbetroffener schlechter gestellt werden darf als im regulären Insolvenzverfahren. Der Insolvenzplan wird durch Mehrheitsentscheidung der Gläubiger angenommen. Einzelne Gläubiger können folglich überstimmt werden. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist eine Sanierung hingegen auf den Konsens aller Beteiligten angewiesenen.
Diese Lücke soll der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen schließen. Künftig soll es auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens möglich sein, ein Unternehmen auf Grundlage eines von den Gläubigern mehrheitlich angenommenen Restrukturierungsplans zu sanieren und ein Insolvenzverfahren zu vermeiden. Der Gesetzentwurf stellt Unternehmen, die sich im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit befinden, verschiedene Restrukturierungshilfen nach Art eines „Werkzeugkastens“ zur Verfügung. Nur wenn der Schuldner von diesen Instrumenten Gebrauch machen möchte, ist die Beteiligung eines Gerichts – des Restrukturierungsgerichts – erforderlich. Der Schuldner hat somit eine weitgehend ungebundene Herrschaft über den Sanierungsprozess und ist nicht gezwungen, ein einheitliches Verfahren zu durchlaufen. Aufgrund dieser Eigenständigkeit des schuldnerischen Unternehmens ist auch nur in Ausnahmefällen die zwingende gerichtliche Bestellung eines Sanierungsbeauftragten vorgesehen dem im Wesentlichen Überwachungsaufgaben zukommen.
Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens
Die Inanspruchnahme der Instrumente setzt die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens bei dem zuständigen Restrukturierungsgericht voraus. Öffentliche Bekanntmachungen durch das Gericht erfolgen nur, wenn der Schuldner dies beantragt.
Folgende Instrumente werden dem Schuldner durch den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen zur Verfügung gestellt:
Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens
Hierbei bestimmt das Restrukturierungsgericht einen Termin, an dem der Restrukturierungsplan und das Stimmrecht der Planbetroffenen erörtert werden und anschließend über den Plan abgestimmt wird. Der Schuldner kann aber auch – ohne Beteiligung des Gerichts – selbst den Planbetroffenen das Angebot unterbreiten, den Plan anzunehmen oder ihn im Rahmen einer – selbst organisierten – Versammlung der Planbetroffenen zur Abstimmung stellen.
Gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind
Die Vorprüfung kann bei Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens auch in einem gesonderten Termin vor dem Erörterungs- und Abstimmungstermin erfolgen.
Gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung von Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung
Durch dieses Moratorium wird die Zwangsvollstreckung in das schuldnerische Vermögen und die Verwertung von Sicherheiten temporär gesperrt.
Gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans
Die gerichtliche Bestätigung des vom Schuldner erarbeiteten Restrukturierungsplans hat zur Folge, dass die Planwirkungen auch für und gegen die Planbetroffenen wirken, die dem Plan nicht zugestimmt haben.
Nicht durch einen Restrukturierungsplan gestaltbar sind jedoch unter anderem Forderungen von Arbeitnehmern aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis.
Der Regierungsentwurf sah zudem das Instrument der Vertragsbeendigung vor. Damit sollte die gerichtliche Beendigung von gegenseitigen, beiderseits noch nicht erfüllten Verträgen ermöglicht werden, wenn der Vertragspartner des Schuldners dessen Anpassung- oder Beendigungsverlangen nicht nachkommt. Auf diese Weise sollte der Schuldner in eine Verhandlungsposition gebracht werden, mit der er beispielsweise gegenüber Vermietern notwendige Vertragsanpassungen durchsetzen können sollte. Die Regelungen zur Vertragsbeendigung wurden auf Betreiben des Bundesrates gestrichen. Sie wurden als zu schwerwiegender Eingriff in Vertragsverhältnisse zu Lasten der Gläubiger angesehen. Somit bleibt es dabei, dass allein der vom Insolvenzgericht eingesetzte Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren darüber entscheidet, ob noch nicht erfüllte Verträge nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt werden oder nicht.
Anreize für Geschäftspartner und Gläubiger
Im Hinblick auf die Insolvenzanfechtung sowie eine etwaige Haftung wegen sittenwidrigen Beitrags zur Insolvenzverschleppung sah sich das BMJV veranlasst, eine klarstellende Regelung zu schaffen, nach der allein die Kenntnis des Beteiligten von der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens durch den Schuldner nicht ausreicht, den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners oder eine Haftung wegen Sittenverstoßes – etwa durch Gewährung von Krediten an eine insolvenzreife Gesellschaft – zu bejahen.
Die Geschäftspartner des Schuldners sollen sich nicht wegen der Sorge um eine spätere Insolvenzanfechtung oder eine eigene Haftung davon abhalten lassen, ihre Geschäftsbeziehung zum Schuldner fortzuführen oder sich am Restrukturierungsplan zu beteiligen. Grundsätzlich unterliegen auch die Regelungen eines rechtskräftig bestätigten Restrukturierungsplans und Rechtshandlungen zum Vollzug des Plans nicht der Insolvenzanfechtung. Der Zeitraum, innerhalb dessen eine Anfechtung möglich ist, verlängert sich allerdings um den Zeitraum der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache, damit die Gläubigergesamtheit in einem etwaigen späteren Insolvenzverfahren nicht durch die Dauer der Restrukturierung benachteiligt wird.
Sanierungsmoderation
Neben den Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens soll dem Schuldner durch die Sanierungsmoderation die Möglichkeit eröffnet werden, einen gerichtlich bestellten Sanierungsmoderator in Anspruch zu nehmen, der zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern vermittelt mit dem Ziel, die Krise des Schuldners – insbesondere durch einen Sanierungsvergleich – zu überwinden. Zielgruppe sind vor allem Kleinst- und kleine Unternehmen, für die eine Beratung und Unterstützung durch professionelle Sanierungsberater nicht wirtschaftlich darstellbar sind.
Haftungsrisiken der Geschäftsleiter
Gegenüber dem Regierungsentwurf abgemildert wurde die durch das StaRUG vorgesehene Verschärfung der Haftungsrisiken der Geschäftsleiter. Diese sollten bei drohender Zahlungsunfähigkeit explizit zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit verpflichtet werden und bei Verletzung dieser Pflicht für einen der Gläubigerschaft entstehenden Schaden haften. Angesichts dieses völlig konturenlosen Pflichtenmaßstabs wurde diese Regelung zurecht gestrichen, wobei der Rechtsauschuss dabei davon ausging, dass sich entsprechende Pflichten und Haftungsnormen ohnehin bereits aus dem Gesellschaftsrecht ergäben.
Nimmt eine Gesellschaft die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch, haften die Geschäftsleiter in Höhe eines den Gläubigern entstandenen Schadens dafür, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt. Ein Geschäftsleiter wird bei Erfolglosigkeit des Restrukturierungsvorhabens damit rechnen müssen, sich in einem anschließenden Insolvenzverfahren potentiell für fast jedes Handeln gegenüber einem Insolvenzverwalter rechtfertigen zu müssen, um nicht von diesem in Anspruch genommen zu werden.
Gerichtsstandort Dortmund
Der Gesetzentwurf sieht schließlich vor, die Verfahren in Restrukturierungssachen jeweils bei dem am Sitz eines Oberlandesgerichtes zuständigen Insolvenzgericht zu konzentrieren. Das Amtsgericht Dortmund wäre dann – sofern nicht die Landesregierung eine abweichende Regelung treffen sollte – als Restrukturierungsgericht, das Landgericht Dortmund als Beschwerdegericht für den größten deutschen Oberlandesgerichtsbezirk zuständig.
Weitere bedeutende Änderung der Insolvenzordnung
Neben der Einführung des StaRUG sieht der Gesetzentwurf eine Reihe von Änderungen der Insolvenzordnung und weiterer Gesetze vor.
Verlängert werden soll die Höchstfrist für einen Insolvenzantrag bei Überschuldung von drei auf sechs Wochen. Dadurch soll es dem Schuldner ermöglich werden, laufende Sanierungsbemühungen zur Beseitigung einer Überschuldung zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen oder aber eine Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder in Eigenverwaltung vorzubereiten. Bei der Zahlungsunfähigkeit bleibt es bei einer maximal dreiwöchigen Antragsfrist. Die Höchstfristen dürfen – schon nach geltendem Recht – nicht ausgeschöpft werden, wenn die Sanierungsbemühungen keine Aussicht auf Erfolg (mehr) haben.
Für die drohende Zahlungsunfähigkeit soll ein Prognosezeitraum von 24 Monaten, für die Überschuldung von zwölf Monaten – wegen der COVID-19-Pandemie bis zum 31.12.2021 unter bestimmten Voraussetzungen jedoch nur von vier Monaten – gesetzlich festgelegt werden.
Geschäftsführer und Vorstände von Gesellschaften, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person persönlich haftet, haben der Gesellschaft Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife zu erstatten, wenn diese nicht ausnahmsweise mit ihrer Sorgfaltspflicht im Einklang stehen. Bislang ist diese Regelung in dem für die jeweilige Gesellschaftsform gültigen Gesetz verankert. Nach Vorstellung des Regierungsentwurfes soll sie in einer allgemeinen und rechtsformneutralen Vorschrift zusammengefasst werden. Die bestehende Rechtslage soll dabei aber nur moderat geändert werden: So wird zum einen konkretisiert, wann Zahlungen mit der Sorgfaltspflicht vereinbar sind, wobei hier eine rechtszeitige Insolvenzantragsstellung honoriert wird. Zudem soll der zum Ersatz verpflichtete Geschäftsleiter geltend machen können, dass der Gläubigerschaft ein geringerer Schaden als die Summe der von ihm veranlassten Zahlungen entstanden ist. Da dieser Schaden in der Praxis allerdings nur sehr schwer zu ermitteln ist, wird dem Geschäftsleiter ein solcher Nachweis wohl nur in einfach gelagerten Sachverhalten gelingen können. Schließlich wird eine Pflichtenkollision, die sich bislang für Geschäftsleiter aus ihrer Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife einerseits und ihrer Haftung für nichtgezahlte Steuerschulden andererseits ergibt, dahingehend aufgelöst, dass für zwischen Insolvenzreife und Insolvenzeröffnung nicht erfüllte Steuerschulden die persönliche Haftung nicht eintritt, sofern die antragspflichtigen Geschäftsleiter ihren Pflichten bei Eintritt der Insolvenzreife nachkommen.
Die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wird nochmals bis zum 31.01.2021 verlängert, allerdings nur für solche Unternehmen, die erwarten können, die sogenannten „November- und Dezemberhilfen“ in Anspruch nehmen zu dürfen.
Das SanInsFoG wird aller Voraussicht nach zum 01.01.2021 in Kraft treten, um die Sanierungsoptionen des Gesetzes möglichst schnell der Praxis zur Verfügung zu stellen. Spätestens mit dem endgültigen Ende der vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht aufgrund der COVID-19-Pandemie am 31.12.2020 beziehungsweise am 31.01.2021 wird ein erheblicher Restrukturierungs- und Sanierungsbedarf erwartet.