In vielen grenzüberschreitenden wirtschaftsrechtlichen Vertragsgestaltungen vereinbaren die Parteien eine sogenannte Schiedsklausel, die im Falle einer rechtlichen Auseinandersetzung über den Vertragsgegenstand die Entscheidung einem Schiedsgericht – anstelle eines staatlichen Gerichtes – vorbehält.
Die Anrufung eines Schiedsgerichtes ist dabei lediglich die letzte Stufe derjenigen Möglichkeiten, die Parteien zur Lösung rechtlicher Streitigkeiten zur Verfügung steht, ohne staatliche Gerichte anrufen zu müssen (Alternative Streitbeilegungsmethoden; Alternative Dispute Resolution; ADR).
Die oftmals recht oberflächliche Kritik an dieser Form der Streitbeilegung übergeht, dass es den Parteien jederzeit möglich ist, zunächst Verhandlungen zum Streitgegenstand zu führen. Solche Verhandlungen sind oft preiswert und schnell, haben jedoch den Nachteil, dass an ihrem Ende wiederum nur vertragliche Verpflichtungen der Parteien stehen werden. Bekanntlich kann es den Parteien oftmals schwer fallen, sich an einen gemeinsamen Verhandlungstisch zu setzen. In diesen Fällen besteht die Möglichkeit, auf eine dritte Person als Vermittler zurückzugreifen. Stark vereinfacht hat dieser Mediator die oftmals schwierige Aufgabe, Kommunikation zwischen den Parteien (wieder) zu ermöglichen. Wenn ihm dies gelingt, steht am Ende der Mediation nicht nur eine neue Kommunikationsbasis der Beteiligten, sondern wiederum eine neue vertragliche Vereinbarung.
Die Grundannahme des Schiedsrechts weicht von den vorgenannten alternativen Streitbeilegungsmethoden mit Blick auf das Ergebnis erheblich ab. Während Verhandlungen und Mediation in den überwiegenden Fällen zu einer neuen vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien führen, wird im Schiedsrecht eine Entscheidung zugunsten oder zulasten der Parteien gefällt. Statt eines (neuen) Vertrages erhalten die Parteien einen Schiedsspruch. Die Befassung eines Schiedsgerichtes hat dabei drei wesentliche Vorteile. Auf der Hand liegt, dass Schiedsgerichte oftmals wesentlich schneller arbeiten als staatliche Gerichte. Bei den befassten Schiedsrichtern handelt es sich um Experten in den jeweiligen Sachgebieten, die sich nicht erst mühsam in die Sachmaterie einarbeiten müssen. Zudem sind in den jeweils anwendbaren Schiedsordnungen oftmals nur sehr kurze Fristen vorgesehen; Entscheidungen können daher oft deutlich schneller als bei staatlichen Gerichten ergehen. Sodann sind Schiedsverhandlungen nicht öffentlich, was einem tatsächlichen oder vermeintlichen Geheimhaltungsbedürfnis der Parteien entgegenkommt.
Entscheidend dürfte jedoch sein, dass Schiedsgerichte grundsätzlich nicht an die überkommenen Zivilprozessordnungen gebunden sind und dadurch Nachteile für Parteien aus Rechtsordnungen vermieden werden, die auf der durchaus nachvollziehbaren Unkenntnis der Prozessordnung des angerufenen Gerichts beruhen. Stattdessen wird üblicherweise die Geltung internationalen Prozessregeln vereinbart, so etwa jener der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC). Zu betonen ist jedoch, dass der Grundsatz der Wahlfreiheit der prozessualen Regeln in geringem Ausmaß – aber eben doch – durchbrochen ist und im Schiedsverfahren die Regeln am Ort bzw. Sitz des Schiedsgerichts befolgen sind, deren Befolgung in der jeweiligen Rechtsordnung als zwingend angesehen werden. Werden diese oft völlig grundlegenden Regeln nicht befolgt, offenbart sich der Nachteil des Schiedsverfahrens: Die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruches liegt nach wie vor in staatlicher Hand. Werden grundlegende und zwingende prozessuale Regeln am Ort bzw. Sitz des Schiedsgerichts nicht eingehalten, kann der Schiedsspruch nicht vollstreckt werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass die Frage, welche prozessualen Regeln denn nun so grundlegend sind, dass sie als zwingend zu gelten haben, Gegenstand spezialisierter Gesetze sind und zudem ganz ausgiebig – und weil es bei Vollstreckung um staatliches Handeln geht – vor staatlichen Gerichten diskutiert wird. Dieser Diskussion hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt nun ein neues, recht erstaunliches Kapitel hinzugefügt (B. v. 16.01.2020, 26 Sch 14/18).
Obgleich die Entscheidung anonymisiert ist, liegt es nahe, dass das streitgegenständliche Schiedsverfahren im Handel mit Produkten der Fotografieindustrie spielt. Ein belgischer Konzern hatte 2005 seinen Konsumgüterbereich ausgegliedert und an eine Gruppe von Investoren veräußert. Bereits nach einem halben Jahr fiel dieses ausgegliederte Unternehmen in Insolvenz. Ein Vielzahl von Gerichts- und Schiedsverfahren folgten, in denen Investoren und Insolvenzverwalter dem Vernehmen nach Schadensersatz von EUR 140 Mio. forderten. Nachdem zunächst entsprechende Verhandlungen und eine Mediation gescheitert waren, leitete der Insolvenzverwalter ein Schiedsverfahren nach den prozessualen Regeln der ICC ein. Als Schiedsort wurde Frankfurt/Main gewählt; die Schiedsrichter wiesen in ihrem Schiedsspruch das Begehren ab. In diesem Schiedsspruch fand sich eine Besonderheit, die sich noch erheblich auswirken sollte: Einer der Schiedsrichter legte seine abweichende Ansicht in einem Minderheitsvotum (dissenting opinion) vor.
Da sich wohl weder der Insolvenzverwalter noch die Investoren mit dem abweisenden Schiedsspruch abfinden wollten, wandte man sich nun an das OLG Frankfurt/Main mit dem Ziel, den Schiedsspruch wegen Verletzung der grundlegenden, zwingenden Regeln des deutschen Prozessrechts aufzuheben. Der Senat des OLG Frankfurt/Main gab diesem Begehren statt und kam zum Ergebnis, dass der Schiedsspruch aufzuheben sei.
Diese Entscheidung stützte der Senat des OLG Frankfurt/ Main einerseits darauf, dass das Schiedsgericht das rechtliche Gehör des Schiedsklägers verletzt habe, weil es dessen Vortrag zwar zur Kenntnis genommen und im Schiedsspruch wiedergegeben, aber nicht zum Gegenstand einer inhaltlichen Würdigung gemacht habe. Dieser Vorhalt soll hier nicht weiter erörtert werden. Denn andererseits verwies der Senat des OLG Frankfurt/Main darauf, dass ein weiterer Aufhebungsgrund erfüllt sei, weil einer der Schiedsrichter in seinem Minderheitsvotum seine von der Mehrheit des Schiedsgerichts abweichende Meinung offengelegt hatte.
Der Senat des OLG Frankfurt/Main meint, dass die Offenlegung eines Minderheitsvotums in inländischen Schiedsverfahren unzulässig sei und gegen das für inländische Schiedsgerichte geltende Beratungsgeheimnis verstoße. Die besondere Bedeutung des Beratungsgeheimnisses für den Schutz der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schiedsrichter bringe es mit sich, das Beratungsgeheimnis – auch nach abschließender Beratung und Erlass des Schiedsspruchs – nicht zur Disposition der Parteien und/oder der Schiedsrichter zu stellen und als Bestandteil der verfahrensrechtlichen zwingenden Regeln anzusehen.
Diese Ansicht des Senates des OLG Frankfurt ist einigermaßen überraschend. Aus Sicht der Praxis und auch der Rechtsunterworfenen erscheint die Veröffentlichung der abweichenden Meinung für das Verständnis und die Akzeptanz der Entscheidung doch gerade nützlich. In vielen Rechtsordnungen ist sie üblich und in Deutschland etwa für das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich zulässig.
Der deutsche Gesetzgeber meinte im Rahmen der letzten Überarbeitung der oben angesprochenen spezialgesetzlichen staatlichen Regeln zur Anerkennung von Schiedssprüchen ebenfalls, dass die Frage, ob dem Schiedsspruch ein Sondervotum („dissenting opinion“) beigefügt werden kann, keiner ausdrücklichen Regelung [bedürfe]; für das geltende Recht wird dies überwiegend als zulässig erachtet.“
Es findet sich auch nichts Gegenteiliges in den Ausführungen der Koryphäen der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Sowohl Peter Schlosser, als auch Reinhold Geimer und Rolf A. Schütze bewerten die Verletzung des Beratungsgeheimnissen zwar durchaus kritisch. Ihren Veröffentlichungen lässt sich jedoch Einigkeit dahingehend entnehmen, dass es den Parteien anheim steht, abweichende Regelung zu treffen und so die Veröffentlichung eines Minderheitsvotums zuzulassen. Da es sich um ein Schiedsverfahren nach den ICC-Regeln handelt, die ein Minderheitsvotum gerade zulassen, lag mit der Vereinbarung der ICC-Regeln eine solche Parteivereinbarung sogar vor.
Diese gegenteilige Praxis, die gegenteilige Ansicht des Gesetzgebers und die gegenteilige absolut herrschende Meinung der Wissenschaft ficht das OLG Frankfurt indes nicht an: Ohne nähere Begründung führt der Senat aus, dass das Beratungsgeheimnis nicht zur Disposition der Parteien stehe, sodass auch eine Verfahrensvereinbarung der Parteien zur Zulässigkeit von Sondervoten den Schiedsspruch nicht vor der Aufhebung schütze. Eine nähere Begründung für diese Ansicht liefert der Senat nicht.
Denkt man diese Haltung des Senates des OLG Frankfurt/ Main konsequent zu Ende, führt dies zu Folgeproblemen. So werden Schiedsgerichte, stark vereinfacht, so besetzt, dass jede Partei einen Schiedsrichter benennt und diese Schiedsrichter sich wiederum auf den dritten Schiedsrichter einigen. Vor diesem Hintergrund scheint es zumindest denkbar, dass ein parteiischer Schiedsrichter schlicht sein Minderheitsvotum veröffentlicht und so den Schiedsspruch im Rahmen der Anerkennung vor staatlichen Gerichten zu Fall bringt. Dass damit Kosten- und Haftungsprobleme verbunden sind, liegt auch auf der Hand.
Die Parteien des gegenständlichen Schiedsverfahrens haben bisher schon enorme Geduld bewiesen und erhebliche finanzielle Mittel eingesetzt. Daher steht zu erwarten, dass der Bundesgerichtshof in diesem Verfahren das letzte Wort haben wird. Bis dahin müssen Parteien Vorsorge treffen und ausdrücklich vereinbaren, dass Minderheitsvoten in Schiedsverfahren verboten sind.