Das Finanzamt kann einen bestandskräftigen Steuerbescheid nicht mehr nach § 129 Abgabenordnung (AO) berichtigen, wenn die fehlerhafte Festsetzung eines vom Steuerpflichtigen ordnungsgemäß erklärten Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Einkommenssteuergesetz (EStG) trotz eines vom Finanzamt praktizierten „6-Augen-Prinzips“ nicht auf einem bloßen „mechanischen Versehen“ beruht.
Dies stellt der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 10.12.2019, IX R 23/18 nun klar. Der Kläger hatte in seiner elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung einen Gewinn aus der Veräußerung eines GmbH-Geschäftsanteils im Sinne des § 17 EStG zutreffend erklärt und alle hierfür maßgeblichen Unterlagen beim Finanzamt eingereicht. Der Veranlagungssachbearbeiter des Finanzamtes prüfte den erklärten Gewinn und behandelte die Veranlagung entsprechend einschlägiger Arbeitsanweisungen u. a. als „Intensiv-Prüfungsfall“, welcher nicht nur der Zeichnung durch den Vorgesetzten, sondern auch der Prüfung durch die „Qualitätssicherungsstelle“ unterliegt. Nach einem „Abbruchhinweis“ in maschinellen Veranlagungsverfahren wurde bei der weiteren Bearbeitung der Einkommensteuererklärung des Klägers ein falscher Wert durch einen Mitarbeiter des Finanzamtes eingetragen, der im Ergebnis zu einer zu hohen Steuererstattung für den Kläger führte. Bei späterer Außenprüfung berichtigte das Finanzamt den fehlerhaften Steuerbescheid. Weder im Rahmen der Veranlagung, noch bei der Prüfung durch die Qualitätssicherungsstelle noch bei der Zeichnung auf Sachgebietsleiterebene („6-Augen-Prinzip“) fiel der fehlerhafte Eintrag auf. Bei einer späteren Außenprüfung wurde der Fehler bei der Festsetzung erkannt (erst) und der Einkommensteuerbescheid nach § 129 S. 1 AO berichtigt. Das Finanzgericht vertrat hierbei die Auffassung, dass das Finanzamt zur Berichtigung des fehlerhaften Einkommensteuerbescheids berechtigt gewesen sei.
Der BFH folgte dem (zu Recht) nicht und gab dem Steuerpflichtigen Recht. § 129 S. 1 AO erlaube nur die Berichtigung von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten – sog. mechanische Versehen –, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind. Denn die Rechtsprechung leitet aus diesem Kontext ab, dass es sich um mechanische Fehler handeln muss, sodass der Zweck der Vorschrift all solche Fälle erfasst, in denen der bekannt gegebene Inhalt vom eigentlich Gewollten abweicht. Hierbei müssen aber Rechtsfehler oder Tatsachenirrtümer ausgeschlossen sein (BFH, Urt. v. 26.10.2016, X R 1/14).
§ 129 AO sei dagegen dann nicht anwendbar, wenn dem Sachbearbeiter des Finanzamtes ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum unterlaufen ist oder er den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt hat. Der vorliegende Steuerfall sei von zumindest von zwei Mitarbeitern des Finanzamtes auch inhaltlich geprüft und bearbeitet worden. Das schließe das Vorliegen eines bloßen mechanischen Versehens und damit die Anwendung der Berichtigungsnorm des § 129 AO aus.