Die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB-Digitalisierungsgesetz“) befasst sich nicht nur mit der wettbewerbsrechtlichen Regulierung der Digitalwirtschaft. Neben der unmittelbar anlassgebenden Umsetzung der ECN+-Richtlinie finden sich Änderungen in allen Bereichen des Kartellrechts.
Regulierung der Digitalkonzerne
Die Bemühung der Wettbewerbsbehörden, die Digitalkonzerne zu regulieren, erinnert an den hangtown fry in Kalifornien der 1850er Jahre: Mit der komplizierten Henkersmahlzeit wurde der Vollzug über Monate verzögert, weil Austern und Speck erst herbeigeschafft werden mussten, was die Möglichkeit der Flucht eröffnete. Ähnlich kann die wettbewerbliche Regulierung der Digitalkonzerne ins Leere laufen, weil der Gegenstand des Verfahrens in seiner wettbewerbsrechtlich relevanten Form nicht mehr existiert.
Daher stärkt die 10. GWB-Novelle die Möglichkeit der Anordnung einstweiliger Maßnahmen, eine (nur) mündliche Anhörung und eine beschleunigte Akteneinsicht. Daneben wird eine Norm betreffend Digitalkonzerne mit überragender marktübergreifender Bedeutung eingeführt, die frühzeitige Kontrolle ermöglichen soll. Zudem erfolgt die Klarstellung, dass potentiell schädliche Auswirkungen des Missbrauchs eines marktbeherrschenden Unternehmens genügen. Nicht nur der Marktmachtmissbrauch durch Digitalkonzerne wird neu gefasst, sondern auch der Zugang zu deren Daten. Auch um bei einem „tipping“-Prozess zum Marktbeherrscher frühzeitig eingreifen zu können, ist ein Recht auf den Zugang von Daten etwa für unterlegene Vertragspartner vorgesehen: Daten sind nun essential facilities. Schließlich sollen die Vorschriften zu marktmächtigen Unternehmen nicht mehr nur kleinen und mittleren Unternehmen, sondern allen Unternehmen – also auch Großkonzernen – Schutz gewähren.
Lex Kühnen
Gleichsam auf den letzten Metern wurde eine weitere Regelung eingeführt, die wohl in engem Zusammenhang mit den derzeitigen Verfahren in Sachen Facebook steht. Bekanntlich hat das Bundeskartellamt Facebook aufgegeben, die Datenzusammenführung mit WhatsApp wieder zu entflechten. Der für das Verfahren zuständige 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf hatte an der Rechtmäßigkeit der behördlichen Verfügung ernstliche Zweifel und versagte dem Beschluss des Bundeskartellamtes die sofortige Vollziehung. Facebook musste daher keine Entflechtung vornehmen. Der daraufhin vom Bundeskartellamt angerufene BGH vermochte indes dem OLG Düsseldorf nicht zu folgen und bestätigte die sofortige Vollziehbarkeit des Beschlusses des Bundeskartellamtes. Facebook rief daraufhin nochmals den 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf um einstweiligen Rechtsschutz an, der auch gewährt wurde: Die Düsseldorfer Richter um Professor Jürgen Kühnen ordneten mit einem sog. Hängebeschluss die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Verfügung des Bundeskartellamts vorläufig bis zu seiner Entscheidung über den zweiten Eilantrag an. Damit hat der Senat die Verpflichtung von Facebook einstweilen ausgesetzt, die Anordnungen des Bundeskartellamtes umzusetzen. Gegen diesen letzten Hängebeschluss des 1. Kartellsenates des OLG Düsseldorf geht nun das Bundeskartellamt vor. Der BGH hat die Beschwerde jedenfalls zugelassen.
Womöglich vor dem Hintergrund ausgezeichneter politischer Vernetzung und dem vorbeschriebenen Verfahren wurde der Instanzenzug – OLG Düsseldorf als Instanzgericht, BGH als Rechtsmittelgericht – nun für Digitalkonzerne abgeschafft. Ob diese Beschädigung des Düsseldorfer Gerichtsstandortes und die Verkürzung des Rechtsschutzes Bestand haben kann, wird noch zu klären sein. Wir werden berichten.
ECN+
Der Anlass der Novelle war die Umsetzung der ECN+ Richtlinie. Der Kern der Richtlinie ist die Verbesserung der Zusammenarbeit der Kartellbehörden der Europäischen Union.
Auch wenn es diesbezüglich in Deutschland zu keinen wesentlichen inhaltlichen Änderungen der behördlichen Befugnisse kommt, werden die bisherigen Regelungen des GWB gleichsam entflochten und insgesamt neu geordnet.
Ende der „Verböserung“ bei Bußgeldern?
Aufgrund des Systemwechsels zwischen der Bußgeldbemessung des Bundeskartellamtes und dem OLG Düsseldorf wurden Einsprüche gegen Bußgeldbescheide z.T. nicht weiter verfolgt, weil das OLG Düsseldorf letzthin höhere Bußgelder verhängte. Mit der in der 10. GWB-Novelle vorgesehenen Konkretisierung des gesetzlichen Bußgeldrahmens besteht Hoffnung, dass es zu einer Harmonisierung kommt und der Rechtsschutz nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus unterlassen wird.
Zudem wird in der Novelle die bußgeldmindernde Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen festgeschrieben. Vor diesem Hintergrund sind Unternehmen gut beraten, Compliancesysteme einzuführen und womöglich bereits vorhandene Compliancesysteme rasch zu überarbeiten, weil nunmehr eine Reduzierung des Bußgelds bei Kartellverstößen auch dann möglich ist, wenn das Unternehmen bereits vor dem Verstoß angemessene Compliance-Vorkehrungen getroffen hat.
Erhöhung der Aufgreifschwellen in der Fusionskontrolle
Wenn die Kartellbehörden verstärkt die Digitalwirtschaft regulieren sollen, müssen sie andernorts entlastet werden.
Eine solche Entlastung soll sich in der Fusionskontrolle ergeben, indem die Aufgreifschwellen verändert werden. Nunmehr sind nur noch solche Transaktionen anzumelden, bei denen die beteiligten Unternehmen zusammen mehr als EUR 500 Mio. Umsatz erzielen und innerhalb Deutschland mindestens EUR 50 Mio. und ein anderes Unternehmen EUR 17,5 Mio. Umsatz erzielen.
Kartellschadensersatz
Unerfreulich ist, dass die Novelle beim Kartellschadensersatz nur nachsteuert. Zum Kernproblem der Schadensbemessung verhält sich die Novelle nicht. Ein Bekenntnis zur freien Schadensschätzung oder eine Schadensvermutung finden sich nicht, sondern nur die Klarstellung der Rückwirkung der Auskunftsansprüche und die Möglichkeit der Gerichte, sich zur Bereinigung herausverlangter Dokumente eines Sachverständigen zu bedienen.
Keine neuen Befugnisse
Im Vorfeld der Novelle wurde vermutet, dass die Behörden weitere Befugnisse etwa französischen Zuschnittes erlangten. Solche Befugnisse, etwa für den Verbraucher- oder Datenschutz, finden sich indes nicht.